„Asyl für Edward Snowden!“ ist ein Schlachtruf, der momentan an zahlreichen Fronten zu hören ist. Viele warnen – wie ich finde durchaus zurecht – davor, sich zu sehr auf die personalisierte Ebene einzulassen, die sich weniger mit dem Datenschutzbruch an sich, sondern mehr mit dem Schicksal des Überbringers der schlechten Nachrichten beschäftigt.
Angesichts des aktuellen Verhaltens der Grünen schreibt Lenz Jacobson bei Zeit Online:
„Vor allem die Spitzenpolitiker der Grünen haben erkannt, dass sie mit Snowden viel leichter Wahlkampf machen können als mit dem Thema Geheimdienste. Denn wer diese nicht abschaffen will – das fordert nur die Linke – muss damit leben, dass sie zumindest im jeweiligen Ausland grundsätzlich illegal sind. Asyl für den Informanten zu fordern, ist bequemer.“
Da ist schon einiges wahres dran. Allerdings: Glücklicherweise wird ja mittlerweile auch adäquat über die Materie diskutiert, zudem kann eine Story mit Helden immer besser platziert werden und vom weiteren Schicksal Snowdens mag ja zudem auch durchaus die Motivation möglicher zukünftiger Whistleblower abhängen.
Obwohl ich mich doch recht intensiv mit der PRISM-Affäre beschäftige und ich selbst flüchtlingspolitisch aktiv bin, habe ich mich von der Asyl-Frage selbst wenig angesprochen gefühlt. Da das Thema aber nun immer stärker in den Vordergrund gerät, werde ich dazu ein paar Gedankengänge aufschreiben.
In zahlreichen Petitionen wird gefordert, Snowden Asyl zu gewähren. Hier mal eine unvollständige Auflistung: Deutscher Bundestag, Campact, Avvaz, change.org 1 und 2, internationale Piratenparteien, österreichische Grüne und nochmal Piraten (diesmal sich schämend). In Deutschland ging bereits, wie in anderen Ländern auch, ein diesbezügliches Ersuchen via Fax ein. Ich würde hier jedoch – gerade weil ich mit der Materie täglich zu tun habe – eine grundsätzliche Unterscheidung vornehmen. Und zwar würde ich unterscheiden zwischen dem juristischen Prozess des Asylgesuches mit anschließendem Asylverfahren nach Art. 16a GG bzw. Asylverfahrensgesetz und der Bitte nach Schutz, die so alt ist, wie Menschen sich zu Gesellschaften zusammengefunden haben. Ersteres ein bürokratischer Prozess, zweiteres ist eine politisch-diplomatische Entscheidung, jemanden aufzunehmen und das, was man in diesem Falle auch anstreben sollte. Warum?
Aktuelles deutsches Asylverfahrenssystem ist ein einziger Exklusionsmechanismus
Das deutsche Asylverfahren an sich ist kein Schutz- sondern ein Exklusionsmechanismus. Es dient dazu, eine Legitimation zu bieten, Menschen an Deutschlands und Europas Außengrenzen abzuweisen und als „nicht-legitime“, da nicht ernsthaft verfolgte, Schutzsuchende abzuweisen. Mittel dazu sind unter anderem die Drittstaatenregelung, die aufgrund seiner Länge bereits von der EU gerügte Antragsbearbeitung und dazu noch eine möglichst abstoßende Unterbringung während des Verfahrens, inkl. Lagerunterbringung, Residenzpflicht, Arbeitsverbot und 2-Klassen-Sozialsystem. Von der Herangehensweise, sich auf den Versuch einzulassen, Snowdens Situation in irgendeiner Weise durch die Herbeirufung des deutschen Asylsystems zu lindern, kann ich definitiv nur abraten. Beim Versuch, eine juristische Argumentation zu erstellen, warum Snowden Schutz gewährt sollte, kann man gegen die Kanzleramtsbürokraten sowieso nur verlieren. Die besten Argumente dagegen aber in kurz:
1. Ein Asylantrag muss persönlich innerhalb der Landesgrenzen gestellt werden. Das wird Snowden nicht möglich sein. Zumal Behörden vor der Erstellung eines Antrags grundsätzlich keine Zusagen machen.
2. Innerhalb des Asylverfahrens gelten weiterhin die bestehende deutschen Auslieferungsabkommen. Das heißt, es bietet keinen Schutz für jemanden, der von den USA gesucht wird. Es ist schlicht kein System, das erdacht war, um Menschen aus der sogenannten westlichen Hemisphäre Schutz zu bieten
Den Einwand mancher Politiker, Snowden habe ja wohl gegen geltendes amerikanisches Recht verletzt, habe gar gegen seine Verpflichtungen als Beamter verstoßen, mag ich nicht gelten lassen, da natürlich auch Menschen Schutz gewährt wird, die in ihrer Heimat aufgrund dort aktuell geltenden, teilweise für uns kaum nachvollziehbaren Gesetzen die Todesstrafe droht. Gerade weil das deutsche Asylsystem sich für diesen Fall so unglaublich schlecht eignet, lässt sich natürlich über ein Reform diskutieren, die auch dafür Raum bietet. Die Piraten fordern ja auch eine fundamentale Umkehr im Bereich Asyl.
Natürlich hat die Bundesregierung zahlreiche legale Optionen, die völlig abseits des regulären Asylverfahrens für Verfolgte liegen. Beispielsweise wies Katta bereits darauf hin, dass einem Ausländer nach §22 Aufenthaltsgesetz durch das Bundesinnenministerium aus dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen kann. (Sogar mit der Erlaubnis der Ausübung einer Erwerbstätigkeit, yeah!) Neben Möglichkeiten, eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, wäre sicher auch die temporäre Aussetzung oder schlichte Nicherfüllung von Auslieferungsabkommen möglich, auch die beschleunigte Prüfung einer deutschen Staatsangehörigkeit ist nicht unmöglich und geschieht, wenn es sich um bekannte Sportler handelt, regelmäßig.
Da es also weniger um die Frage geht, ob man kann, sondern mehr ob man will, handelt es sich für die Bundesregierung wohl vor allem um die durchaus nachvollziehbare und rein machtpolitische Abwägung, ob es sich lohnt, sich mit aktuellen militärischen Bündnispartnern, Handelspartnern und dabei auch noch einflussreichen Großmächten anzulegen, zugunsten eines Individuums und einem möglichen innerdeutschen Imagegewinns. Juristisch lässt sich hier nicht viel erreichen. Das beweisen auch Parteien von FDP bis SPD, die darauf pochen, dass es sich beim Asylverfahren ja eben nicht um einen politischen Prozess, sondern um einen Behördengang handelt, womit sie ja auf einer saudämlichen, ziemlich feigen Ebene auch durchaus Recht haben. Insofern würde ich auch dazu raten, eine gänzlich andere Perspektive einnehmen.
Möglichkeit 1: Gewährung eines ständigen Aufenthalt inklusive Straffreiheit, Zeugenschutz und Nichtauslieferung aufgrund von außerordentlichen Verdiensten um die Demokratie in Deutschland
Unabhängig davon, ob das was Snowden getan hat, in den USA illegal war, oder nicht, sollte man erst einmal bewerten, welche Auswirkungen seine Enthüllungen für Deutschland haben. Dies sind zweierlei.
1. Es wurde schon an zahlreichen Stellen darauf hingewiesen, dass Snowden Informationen veröffentlicht hat, die demokratietheoretisch hochrelevant sind, da die Bürger sich nun ein besseres Bild darüber machen können, welche deutschen Politiker möglicherweise mit welchen ausländischen Mächten welche Vereinbarungen zum Nachteil der Bürger und des Grundgesetztes eingegangen sind, bzw. welche Aktivitäten ausländischer Mächte und des eigenen Geheimdienstes geflissentlich ignoriert oder bewusst unterschlagen haben. Das mag durchaus relevant sein für die nächsten Wahlen oder andere systemrelevante Machtveränderungen. Allein dafür gebührt ihm sicherlich ein Stück Dankbarkeit. Da es dazu noch keinen wirklich juristischen Tatbestand gibt, könnte man diesen vielleicht auch gleich noch erfinden. Mal grob in die Luft gedacht wäre das die „Gewährung eines ständigen Aufenthalt inklusive Straffreiheit, Zeugenschutz und Nichtauslieferung aufgrund von außerordentlichen Verdiensten um die Demokratie in Deutschland“. Halte ich für durchaus möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich.
Möglichkeit 2: Aufschrei der Wirtschaftsverbände und Handeln der Bundesregierung zum Schutz des Wirtschaftsstandorts
2. Es gibt aber noch einen anderen, wesentlich realistischeren Aspekt: Den des Erhalts der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, der sich übrigens auch die Bundesregierung verpflichtet fühlen müsste. Dazu lohnt sich ein Blick in den Spiegel-Bericht vom 30.06.2013 (englisch). Darin wird aufgeführt, dass Deutschland besonderes Angriffsziel für die USA ist. Auch visuell lässt sich dies nachvollziehen. Auf einer Karte des Guardian lässt sich sehen, dass Deutschland in einer Färbungsliste (rot=geheimdienstlich hoch interessant, grün=weniger interessant) als einziges Land in Europa gelb gefärbt ist. Die gelbe Färbung lässt sich logisch nur dadurch erklären, dass Deutschland als Hochtechnologiestandort besonders interessant für ausländische Wirtschaftsspionage ist. Die Informationen, die bereits durch Snowden öffentlich gemacht wurden und zukünftig noch durch ihn und mögliche andere Whistleblower öffentlich gemacht werden, sind also hochgradig relevant für die deutsche Wirtschaft. Insofern hätten mittlerweile eigentlich alle großen Wirtschaftsverbände (insofern sie überhaupt irgendwie verstehen, was gerade geschieht) allen voran der BDI, fordern müssen, dass Snowden in Deutschland Zuflucht gewährt wird. Dass dies nicht passiert, verwundert mich dann schon. Die Piraten fordern hier im Wahlprogramm natürlich noch weitergehende Schutzmaßnahmen.
Aber im im Grunde müsste weder eine Erweiterung noch ein Ausnahmetatbestand geschaffen werden. Regelmäßig wird Menschen Straffreiheit und Zeugenschutz gewährt, ihnen eine neue Identität gegeben. Wenn das Interesse des deutschen Staates hoch genug, die Befürchtungen vor möglichen Konflikten klein genug sind, ist dies schnell und unkompliziert möglich. Man sieht dies regelmäßig bei den Ankäufen von Steuer-CDs aus der Schweiz, bei denen zudem die Geheimnisverräter zudem obendrein mit Millionensummen entschädigt werden. Oder wie wäre es denn mit einer beschleunigten Übertragung der deutschen Staatsbürgerschaft? Dann würde auch gleich Art. 16 GG greifen, welches eine Auslieferung deutscher Staatsbürger an andere Staaten verbietet.
Christian Jakubetz hat im lesenswerten Cicero-Pro-Contra den Fall konstruiert, dass ein chinesischer Geheimdienstler überläuft – und Deutschland ihn wohl nicht an Peking ausliefern würde. Solche Leute würden jedoch wohl kaum im Asylverfahren landen. Die eigenen Geheimdienste würden sie abschöpfen und ihnen dann eine neue Identität geben – aus übergeordnetem Interesse.
Asyl fordern, Schutz meinen!
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durchaus richtig ist, öffentlich Asyl – im Sinne von Schutz – für Snowden zu fordern, das deutsch-exklusive Asylsystem jedoch in keinster Weise dazu geeignet ist, ausländischen, international (noch dazu vom Westen) gesuchten Whistleblowern Schutz zu bieten. Solange das System also so ist, wie es ist, ist es auch richtig, darauf hin zu weisen, dass es sich hierbei um andere Formen des Schutzes handelt, die vor allem von politischen Entscheidungen und Erwägungen abhängen. Gerade weil diverse Parteien der Frage, ob Edward Snowden politisches Asyl in Deutschland gewährt werden sollte mit dem Verweis auf die Zuständigkeit der Behörden ausweichen, muss klar gemacht werden: Die Beantwortung dieser Frage ist eine politische Frage und muss daher selbstverständlich auch von Politikern beantwortet werden. Aber: Wo ein Wille ist, existieren auch zahlreiche andere Wege. Ob man die nun ebenfalls als „Asyl“ bezeichnet, spielt dabei keine Rolle.
—
Lesenswert dazu auch:
– “Ed Wer?” von Martin Delius
– “Warum Edward #Snowden niemals in Deutschland Asyl beantragen sollte” von Kpeter
– Stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl, Bernd Mesovic, sagt, Snowden bewege sich mit seiner Strategie daher auf “dünnem Eis” und meint, es sei eine Frage der politischen Opportunität bei Golem / Deutsche Welle
– Jurist Reinhard Marx rät von Asylantrag ab auf Spiegel Online
Nur so ein Gedanke, eventuell geht’s da vor allem um eine sprachliche Feinheit:
Ich glaube nicht, dass die Leute, wenn sie “Asyl für Snowden” fordern, das Formaljuristisch meinen. Sondern schlicht und ergreifend “wir wollen dass der hier herdarf und vor Verfolgung geschützt wird”. Dass man das “Asyl” nennt liegt schlicht daran, dass man das Wort umgangssprachlich so benutzt ohne zwingend den juristischen Bestand des Asylrechts zu meinen.
Naja, ich will eigentlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wenn Snowden unter massivem Druck von allen Seiten der Bevölkerung Asyl gewährt werden muss, dann muss eben auch das Asylverfahren dementsprechend angepasst werden, dass es tut, was es tun soll: Schutz für politisch Verfolgte darstellen.