Mir tut momentan so einiges weh. Die Piratenpartei trägt einen Richtungsstreit aus, der offensichtlich lange gärte und sich nun entlädt. Und das nur wenige Monate vor der für uns so wichtigen Europawahl. Der Wahl mit der 2009 das hier alles wirklich begann. Der Wahl, die für eine transnationale Bewegung wie geschaffen ist und die ein Stück weit auch die Antwort auf die Frage ist, warum wir den ganzen Scheiß eigentlich so machen.
Niemand hat gesagt, dass es einfach wird!
Leider ist die aktuelle Diskussion und das Verhalten vieler Menschen in der Partei gerade nur schwer nach außen vermittelbar. Mich schmerzt es zu sehen, wie gegen unsere Europakandidatin, die seit Jahren erfolgreich Kommunalpolitik betreibt, Tausende von Menschen auf übelste Weise hetzen und dabei auf ihrem Rücken ein Richtungsstreit ausgetragen wird, für den sie selbst kaum mehr als ein Zündfunke war.
Mir tut es weh, dass Cornelia Otto die Partei verlassen hat. Es tut mir auch weh, dass Sebastian Nerz die Partei verlassen hat. Nicht nur dass ich ihn persönlich schätze, er war offensichtlich auch jemand, an dem sich Parteimitglieder, die einen anderen Blick auf die Partei haben als ich, eine Weile lang orientieren konnten und fehlt daher nun. Gleiches gilt für weitere Parteimitglieder. Mir tut dies weh, aber ich versuche meinen Schmerz herunterzuschlucken, einen Schritt zurückzutreten und zu schauen, woher die Intensität stammt, mit der nun momentan eine Polarisierung stattfindet.
Was hat der Femen-Antifa-Antideutschen-Dresden-Mashup mit der Links-Rechts-Debatte in der Piratenpartei zu tun? Inhaltlich eigentlich nicht viel. Und doch gibt es eine Parallele. Es geht um Framing – also die Frage, in welchem Kontext eine Sache wahrgenommen wird, das Potential, die Grundlagen und die Ausrichtung einer Debatte zu steuern, zu kontrollieren und zu verändern. (Wegen mehrerer Nachfragen: Statt Framing lässt sich auch Deutungshoheit, Deutungsrahmen oder Agenda-Setting sagen.) Framing ist vieles. Das Framing ergibt sich aus dem Umständen – es kann aber auch maßgeblich von Einzelnen beeinflusst werden. Von einer überzeugenden, eloquenten Persönlichkeit, die durch inhaltlich gute Beiträge eine Debatte so prägt, dass man sich am Ende auf ihre Position einigt. Über einen sehr dominanten Redner, der lauter und öfter redet als die anderen und die eigentlich guten und fundierten Beiträge anderer marginalisiert. Bis hin zu einem Medium, nach dessen Titelblatt sich andere Medien und so auch ganze gesellschaftliche Diskurse ausrichten. Ich werde nun zwei Perspektiven erläutern, die es in der aktuellen Debatte gibt und die beide mit Framing zu tun haben. Vielleicht kann die jeweils andere das dann besser nachvollziehen.
Die eine Seite: Eigentlich sind sich doch alle einig, dass der 2. Weltkrieg eine Ungerheuerlichkeit war, durch Nazi-Deutschland verursacht, sich niemals wiederholen darf. Und über den Tod, die Verstümmelung und Traumatisierung jedes Menschen, gleich welcher Religion, Herkunft oder ideologischen Verblendung kann man natürlich trauern. Was ist also gerade das Problem, wo sich sich doch scheinbar in diesem Punkt alle einig sind? Das Problem ist folgendes: Bald nach dem von Deutschland entscheidend mitverursachten 1. Weltkrieg setzten in Deutschland Framing-Versuche ein, die die Schuld den kriegstreibenden Alliierten (Entente) zuschieben sollten. Dieses erfolgreiche Reframing schaffte die Grundlage für eine Politik, die den Ausbruch des 2. Weltkriegs und die Unterstützung der deutschen Bevölkerung für die Konsequenzen erst ermöglichte. So war es nur logisch, dass – auch wenn die Ausgangslage eine andere war – schon seit kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieg von reaktionären Kräften im Rahmen der ihnen von der Gesellschaft zugestandenen Möglichkeiten versucht wurde, ein Reframing zu betreiben. Da dieser Rahmen eng gesteckt war, versuchten sie es darüber, den Fokus von der deutschen Kriegsschuld auf die deutschen Opfer zu verschieben. Siehe dazu auch den Blogpost von Kpeterl und seinen Podcast mit Andi Popp. In diesem Kontext sind die Naziaufmärsche am 13.2. in Dresden zu verstehen. Antifaschisten versuchen dieses Reframing zu verhindern. Sie lehnen daher die Debatte über deutsche Kriegsopfer ab und versuchen zugleich, die Inszenierung der reaktionären Kräfte als Opfer durch Blockaden und Proteste zu marginalisieren, damit deren Framing nicht erfolgreich ist.
Sich nicht mit den deutschen Opfern zu beschäftigen, ist in diesem Kontext also nicht als Verhöhnung oder Ignoranz zu sehen, sondern primär als Entscheidung, sich nicht auf einen von Neonazis inszenierten Versuch einzulassen, Kriegsopfer für ihre revisionistischen Zwecke zu instrumentalisieren und ihren Versuch, die Geschichte umzuschreiben. Wer dieses Gegenframing ganz auf die Spitze treiben will, lehnt nicht nur die Debatte über deutsche Kriegsopfer ab, sondern bedankt sich sogar explizit bei den Alliierten und drückt die Ablehnung des Frames sogar plakativ aus. Das kann man stillos finden, sollte aber nicht entkontextualisiert gesehen werden. Der Ausgangspunkt ist und bleibt der Versuch von Neonazis, die Geschichte umzuschreiben und dafür auch die Toten zu missbrauchen. Missfallen an solchen plakativen Aktion ist natürlich nachvollziehbar, insbesondere wenn den Kritisierenden der Kontext nicht bewusst ist. Wer dann allerdings eine längliche Debatte anfängt über Kriegsverbrechen der Alliierten, Anzahl der in Dresden durch Bombardements getötete Menschen und ähnliches, wofür es im Detail immer korrekte Argumente oder Gründe geben kann, erreicht damit auch die entsprechende Aufmerksamkeit. In zahlreichen überregionalen Medien wird über Dresden berichtet und darüber, dass es in einer bedeutenden, nicht als Rechts geächteten und dadurch marginalisierten deutschen Partei eine Debatte über deutsche Kriegsopfer gibt. Damit haben die Neonazis durch den schlichten Hinweis auf die Identität zweier demonstrierender Frauen mehr im Sinne der Neonazis erreicht, als sie in vielen Jahren durch den Aufmarsch tausender Rechtsextremer aus ganz Europa erreichen konnten. Entsprechend sauer sind daher aktuell diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren erfolgreich gegen dieses Framing gewehrt hatten!
Die andere Seite fühlt sich – vor allem auch durch die vielen Bezüge, die das Bild der zwei Frauen zu Femen, Antifa und Antideutschen herstellt – gleich vielfach provoziert. Sie haben das Gefühl, die Dinge die sie gemäß ihres Selbstbildes an der Partei stören, seien auf diesem Bild vereint und verstehen es als Aufbruchsignal oder als Gelegenheit zum Widerstand gegen eine aus ihrer Sicht kleine aber laute Minderheit. Dabei ist es natürlich in jeder Gruppe und gerade in einer Partei wichtig, dass die Mitglieder die Möglichkeit haben, die Ausrichtung der Partei mitzugestalten und ihr Außenbild mitzeichnen und damit ihr Frame bestimmen kann. Ein Beispiel: Wer möchte, dass die Partei von der Öffentlichkeit weniger stark als sexistische Männerpartei gesehen wird, kann mit Bildern, Konzepten und Berichten gegenhalten und zu versuchen die Perspektive auf die Partei zu prägen, dass dort besonders intensiv Themen der Geschlechtergerechtigkeit verhandelt werden. Das gleiche gilt auch für andere Themen wie Kampf gegen Rechtsextremismus, Stadtentwicklung usw. Wenn diese Themen parlamentarisch, auf Parteitagen und im Wahlkampf Raum einnehmen, dann prägt das auch das Frame, in dem die Partei wahrgenommen wird. Noch stärker aber wird dadurch bei vielen das Selbstbild geprägt. Die Piraten mögen in der Öffentlichkeit immer noch als Internet-Nerdpartei wahrgenommen werden, für viele innerhalb der Partei drängt sich durch die in der Partei geführten Debatten der Eindruck auf, die Partei würde ganz anders wahrgenommen.
Das verstärkt sich natürlich noch durch Parteimitglieder mit großer Reichweite, die diese Themen auf Sozialen Medien diskutieren, teilweise sicherlich auch in überzogener Weise, Das kann Frust schaffen. Besonders bei denjenigen, bei denen das Selbstbild der Partei mittlerweile schon viel stärker von diesen Themen geprägt ist, als im Durchschnitt der Bevölkerung, im öffentlichen Diskurs oder in der Medienlandschaft. Ein Spruch und erst recht ein bestimmtes Bild kann von dem Verfasser als harmlos wahrgenommen werden, da sich die Person ihrer gesellschaftlich gesehen sehr geringen Reichweite sehr bewusst ist. Oder als sehr provozierend, wenn der Empfänger das anders wahrnimmt bzw. framet. In diesem Kontext hat die Antifa-Fahne auf dem Bochumer Parteitag für einige Mitgliedern als Trigger gewirkt, der bei ihnen Reaktionen freigesetzt hat, die man kontextbefreit kaum nachvollziehen kann. Und so wirkt es für viele Mitglieder, als würden sie mit ansehen, wie eine Partei, die sich rund um Netzthemen wie Netzneutralität, Immaterialgüterrechte, Datenschutz und Informationsfreiheit gegründet hat, in der Öffentlichkeit plötzlich für ganz andere inhaltliche Themen steht oder sogar in einem konkreten Kontext mit locker organisierten Gruppen, Symbolen und Parolen gerückt wurd, die wiederum von jedem unterschiedlich wahrgenommen werden. Ich weiß, das oben skizzierte entspricht nicht unbedingt einer Lösung, sondern versucht vor allem Dinge in Perspektive(n) zu setzen, die bisher zu sehr auseinander gedriftet sind.
Wie könnte eine Lösung also aussehen? Wichtig ist meiner Ansicht nach, dass wir lernen mit Frames richtig umzugehen. Nur weil wir in bestimmten Medien bestimmte Themen oder Fragestellung besonders stark wahrnehmen, heißt das nicht, dass das überall so ist. Ein Robert Stein, der die NRW-Fraktion als Marxisten bezeichnet, führt noch lange nicht dazu, dass irgendwer im Rest der Gesellschaft die Piraten als links versteht, trägt aber vor allem zur Innenwahrnehmung bei. Im Gegenteil schreiben alle Landtagsfraktionen, besonders die Berliner, fleißig Anträge und Anfragen, die sich mit Überwachung und Grundrechtsschutz beschäftigen, und wir setzen diese auch überdurchschnittlich häufig nach als Priorität ganz vorne auf die Tagesordnung von parlamentarischen Sitzungen. Wir müssen als Partei lernen, unsere eigenen Themen zu setzen und unsere eigenen Schwerpunkte. Wer darauf Einfluss nehmen will, soll dies über Parteitage, Lime Survey, LiquidFeedback oder BEO machen. Wer der Meinung ist, dass diese Entscheidungsstrukturen nicht ausreichen, sollte Alternativen entwerfen, erproben, vorschlagen. Ideen dazu gibt es genug. Vorstandsbeschlüsse und Twitterdiskussionen sind dazu meiner Ansicht nach ungeeignet. Ich bin gerne ansprechbar, falls ihr Vorschläge habt. Was aber durchaus befriedbar wäre: Das Antifa-Missverständnis. Aktuell scheinen ja viele davon auszugehen, dass es eine Antifa-Gruppe gibt, welche die Demokratie ablehnt. Diese “Rechtsstaat-Schmechtsstaat”-Rhetorik befeuert das ganze auch beständig, führt aber nicht wirklich weiter. Auf der anderen Seite fühlen Piraten sich diffamiert, weil von einigen Linken statt erklärender Texte ein “Ihr stellt euch auf die Seiten von” / “Ihr argumentiert wie” zurück kommt. Insofern wäre es natürlich wichtig, Begriffe gemeinsam zu klären, bevor man sie benutzt oder über sie abstimmt. (So wie das auf der Open Mind oder auch bei den JuPis gemacht wird. ) Wer durch Debatten in Sozialen Medien verunsichert ist, mag vielleicht mal die Perspektive erweitern und sich mehr Feedback von außen holen. Ganz wichtig ist aber: Niemand darf einen anderen Menschen zwingen, den gleichen Fokus wie er oder sie selbst zu setzen.
—Update:
Ich verlinke einfach mal willkürlich ein paar Texte zum gleichen Thema:
– Veronique “Niqui” Schmitz: Schlaflos auf Twitter
– Interview mit der Jungle Word: Piratin Anne Helm bestätigt Bomber-Harris-Aktion
und
– Florian “Fardizzle” Deissenrieder: Lasst uns streiten!
– Carta: Bombergate, Antifa, Orgastreik – Was ist bei den Piraten los?
– Daniel Schwerd: #PiratLinksLiberal – eine Positionierung
– InsideX: Wir brauchen eine Wertedebatte
– Lenz Jacobsen bei Zeit Online: Eine Partei stirbt
– Cicero-Blog: Göttinger Demokratie-Forschung: Die Piraten: Eine Partei zerbröselt