Innenansicht auf die Liebig 14


Da die gestrige Innenausschusssitzung einiges an Potential vorhält, habe ich mich entschieden zu der Diskussion um die Räumung der Liebigstraße 14 einen eigenen Blogpost zu verfassen. Ich bin kein Experte für besetzte und/oder von der Räumung bedrohte Häuser, aber ich denke, ich habe die Grundproblematik und die politische Konfliktlage ganz gut erfassen können und hoffe, gerade denjenigen, die genauso wenig Experten sind wie ich, einen groben Überblick geben zu können. Wenn ich etwas wichtiges vergessen sollte, gilt – wie immer – bitte in den Kommentaren darauf hinweisen.

Nur kurz noch zu den anderen TOPs der gestrigen Sitzung: Diese bietet auch neben der Liebig-Diskussion einige spannende Einblicke.  Interessant waren die Aussagen zum Fall Mark Kennedy (Undercover bei G8 2007) und Simon Brenner (Undercover beim Bildungsstreik 2010). Die Berliner Polizei wurde – nach Anfrage der Grünen und Aussage von Pol.präs. Glietsch – über Kennedys Anreise nicht informiert, sie nahmen ihn jedoch unter dem Namen Mark Stone fest und ließen ihn wieder frei. Simon Brenner (oder Brommer) wurde im April 2010 vom LKA BaWü angekündigt und in Berlin eingesetzt, um die Bildungsproteste zu infiltrieren.

Daneben gab es noch eine recht spannende Diskussion um die Umstrukturierung der Bezirksämter, die – laut Berliner Verfassung – bis 2010 nach einem speziellen Proporz besetzt werden mussten, und die man nun auch nach anderen Maßstäben besetzen könnte. Im Kern geht es aber um die Sicherung der zukünftigen Handlungsfähigkeit der Bezirksämter. Die Koalition scheint deren absehbaren Totalausfall willentlich mit einzukalkulieren. Der Antrag der CDU, die Polizeikennzeichnung zu stoppen wurde abgelehnt mit dem Kommentar des Innensenators, das Thema sei für ihn nach dem Urteil der Einigungsstelle erledigt. Das gesamte von mir angefertigte Protokoll lässt sich hier einsehen. Das offizielle ist sicher auch bald online.

Die Liebig 14 – eine (un)politische Frage?

Die Aussagen von Innensenator Körting zur Liebig 14 vermitteln ein eindeutiges Bild: Er sieht darin kein politisches Thema. Den Bewohnern sei gekündigt worden. Das Landgericht habe dies in zweiter Instanz bestätigt und nun müsse das Recht durchgesetzt werden. Die Anfragen der Grünen, inwiefern es Möglichkeiten der Kulanz gebe, wertete Körting als Forderung nach der Anwendung des Opportunitätsprinzips. Dieses besagt, dass wenn der gesellschaftliche Schaden sehr gering ist, kann ein Polizist nach eigenem Ermessen von der Verfolgung einer Straftat absehen. Er ist also nicht gezwungen, jedem Fußgänger, der bei Rot über die Ampel geht, zu bestrafen, sondern kann sich auf diejenigen konzentrieren, die sich im Straßenverkehr wirklich allgemeingefährdend verhalten. Die Anwendung des Opportunitätsprinzips ist nach Körting im Falle Liebig 14 nicht möglich, da das Landgericht Recht gesprochen habe und der vom Immobilieninhaber angerufene Zwangsvollstrecker, falls die Bewohner sich am 2.2. tatsächlich weigern sollten, (reichlich absurd mutete es an, als Glietsch und Körting versuchten zu betonen, dass ja noch alles offen sei und man nicht vorhersehen könne, ob eine Räumung tatsächlich notwendig sei) die Polizei zur Hilfe rufen werde.

Natürlich kann man es sich nicht so einfach machen, jeder nach dem geltenden Recht eindeutige Situation jede Politizität – und damit indirekt auch jede politische Brisanz – einfach abzuerkennen. Es gibt Themen, die sind einfach von politischer Brisanz und die Liebig 14 gehört dazu – wenn sie auch nicht ganz so öffentlich relevant zu werden scheint wie die Köpenicker Straße – und Politiker sind dafür da, dass sie sich mit politischen Problemen beschäftigen. Körtings Verweigerungshaltung hilft da nicht weiter. In Hamburg wurden auch jahrelang Verhandlungen über besetzte Gebäude geführt. Demokratie ist ja kein Ponyhof. Da hilft nicht nur die Kamera streicheln, sondern man muss sich auch in komplizierten Situationen um gute Lösungen bemühen.

Alternativen für die Bewohner?

Eine zentrale Frage lautet natürlich, was die Alternativen für die Bewohner sind. Wo sollen sie nach der Räumung hin? Welche Möglichkeiten wurden ausgelotet. Zu Beginn des TOP hat Körting die Situation dargestellt, als wenn er als Gutmensch sich mit Bezirksbürgermeister Xhains, Franz Schulz, getroffen hätte, mit diesem zusammen sinnvolle Alternativen für die Bewohner evaluiert hätte und diese sich böser Weise gegen alle seine Vorschläge gewandt hätten. An dieser Stelle hat Canan Bayram von den Grünen gute, entlarvende Fragen gestellt. Und so stellte sich langsam heraus, dass die Besuche Körtings wohl vor allem als Feigenblatt gedacht waren. Alles was ins Gespräch gebracht wurde, waren Einzelwohnungen. Allerdings ist die Liebig 14 ein Projekt aus mehr als einem Dutzend Personen besteht, die sich diesen alternativen Lebensstil ja explizit ausgesucht haben. Diese nun in – vermutlich dazu noch viel teurere – Einzelwohnungen abschieben zu wollen, ist wohl kaum als ernsthafte Alternative anzusehen.

Interessant ist auch ein Hinweis, den Bayram machte, nämlich dass die Räumung natürlich auch Einfluss auf die Nachbarschaft nehmen werde. Diese würde unter Umständen in ihrer natürlichen Umgebung maßgeblich gestört. Und damit werde nun auch ein weiterer Schritt in Richtung gentrifiziertem Kreuzberg gemacht.

Ist nun ein Polizeieinsatz geplant?

Kommt er oder kommt er nicht? Canan Bayram wies auf einen Artikel in der Berliner Zeitung vom 15. Januar hin, nach dem ein Einsatz mit über 1000 Beamten und Spezialkräften geplant sei. Glietsch erwiderte, dass dieser Artikel nicht durch seine Pressestelle genehmigt worden sei und betonte erneut, dass Ablauf und Ausmaß des Einsatzes von der jeweiligen Situation und dem Verhalten der Bewohner abhinge. Man könne ja gar nicht wissen, ob es überhaupt zu einem Einsatz kommen werde! Es sei ihm auch gar nicht möglich, genaue Angaben über einen in der Zukunft geplanten Einsatz zu machen (jetzt findet er doch statt?), wenn nun einer der Einsatzbeamten Schätzungen abgebe, sei dies eine andere Sache, die Presse müsse jedoch wissen, dass dies keine verlässlichen Zahlen seinen. Nach all den Argumenten, warum man keine Zahlen nennen könne und die genannten Zahlen nicht verlässlich seien, bekam man nur umso mehr den Eindruck, dass ein großer Einsatz unmittelbar bevorsteht.

Wie sollte man den Fall nun bewerten?

Unabhängig von der jeweiligen politischen Grundhaltung des Lesers erscheint es wohl vor allem wichtig, auf einige Punkte hinzuweisen. So wurden bereits mehrfach Gebäude in Berlin geräumt, deren weitere Nutzung nicht feststand bzw. so schlecht geplant war, dass die Nutzung nicht von Dauer war. Die Räumung in der Brunnen 183 ist meines Wissens ein solcher Fall. Die Brunnen ist gleichzeitig auch ein Paradebeispiel für Verschwendung von Steuergeldern: Der Einsatz hat den Staat ca. 1,8 Millionen Euro gekostet. Das ist ein Vielfaches des Wertes des geräumten Gebäudes, das – ich wiederhole mich ja immer gerne – mittlerweile nicht mehr genutzt wird. In so einem Fall auf das Recht zu pochen, das unter allen Umständen durchgesetzt werden muss und jede politische Diskussion dieses Falles gleich im Vorhinein, womöglich unter dem Motto “Kein Verhandeln mit Terroristen” auszuschließen, ist in etwa so sinnvoll, wie eine Razzia mit SEK-Unterstützung wegen des Verdachts auf Falschparken.

Und bei der Brunnenstraße waren nur 800 Polizisten im Einsatz. Bei der Liebig sollen es etwa 1000 sein. Das dürfte den Preis des Einsatzes auf über 2 Millionen (ja, das sind sechs Nullen) schrauben. Da fragt man sich doch wirklich, ob die Stadt das Geld nicht nehmen und den Vermieter finanziell ausreichend für den Verlust seines Hauses entschädigen könnte, das Haus übernehmen und die Mieter weiterhin ihre Miete zahlen lassen. (Nur so als Spinnerei, die immer noch im Sinne des Steuerzahlers wäre.)

Und so bleibt eigentlich nur darauf hinzuweisen, dass man im September eine Partei wählen sollte, die sich für demokratische und transparente Entscheidungen zur Stadtgestaltung und die Sicherstellung von bezahlbarem Wohnraum einsetzt…und auf einen Hinweis, den Senator Körting selbst gegeben hat: Dass nämlich das passive Sitzen im zu räumenden Haus (aka sich wegtragen lassen) keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen wird. See you at #Liebig14!

Update: Hier ist noch ein Artikel von Indymedia, die über die gleiche Sitzung berichten, aber einige andere Punkte noch hervorheben: http://de.indymedia.org/2011/01/298617

3 Comments

3 Comments

  1. Hallo Fabio Reinhardt.
    Vorab möchte ich Dir/Ihnen für den obigen Beitrag danken- wenn ich seine Aussagen auch im Großen und Ganzen nicht teile.
    Auch ich sehe in der Causa Liebig14 keine politische Frage, bzw weigere ich mich, hierin eine politische Frage zu sehen. Gerne können sie mich als unpolitischen Menschen bezeichnen- was ich in diesem Punkt auch gerne annehme; mich hier sogar darüber freue.
    Aus Urliberaler Sicht heraus stellt sich dieses für mich auch nicht als politischer, gesellschaftlich relevanter Sachverhalt dar. Eine Person kauft ein Haus. Sie möchte das Haus anders nutzen, als bisher. Sie kündigt und bekommt von den Instanzen Recht. Güter wurden abgewogen, Sachverhalte ergründet- und anschließend ein Urteil gefällt. Das Urteil muss ihnen nicht schmecken. Jedoch: SInd es nicht die Piraten, die sich gerne als die größten Verfechter des Rechtsstaates hinstellen? Müssten sie dann nicht eigentlich die Urteile zumindest akzeptieren?
    Ihre Kostenrechnung- Polizeikosten x im Vergleich zum Wert des Hauses gehen hier auch nicht auf. Noch besser: Der Staat darf diese Rechnung nicht einmal aufstellen. Das von ihnen angeführte Opportunitätsprinzip ist hier auch überhaupt nicht anwendbar. Dieses gilt nur im Polizei- und Ordnungsrecht; niemals im Strafrecht (- lediglich bzgl der weiteren Verfolgung ist dieses u.U. anwendbar…). Da es sich hier aber um Straftaten handelt (- muss man nicht richtig finden, ist aber so), hat der Eigentümer einen Anspruch auf staatliches Einschreiten….
    Dieses nur zum juristischen. Das mag für viele nicht sonderlich relevant sein- ist aber meiner Ansicht nach der Kern der Sache…

    Erlauben sie mir zum Ende, noch ein wenig zu polemisieren:
    warum verflucht noch mal, sollen die lieben Bewohner der Liebig14 einen Anspruch darauf haben, gut, günstig und dann auch noch in einem gesamten Haus- keine pösen Einzelwohnungen- zu residieren?
    Gibt es ein Grundrecht auf Stuck und Dielen?
    Wo ist da die gesellschaftliche Relevanz?
    Wo ist der gesellschaftliche Mehrwert?
    Warum soll ich dies als gesellschaftliches Problem akzeptieren, nur weil ein paar Leute auf Kosten eines anderen ihre Ideale eines freien und selbstbestimmten Lebens verweirklichen wollen? Das will ich auch! wenn ich´s mir nicht leisten kann, Unter den Linden zu residieren- so wie ich es mir wünsche- ist dieses dann auch ein gesamtgesellschaftliches, politisches Thema?

    Die Häuser denen, denen sie gehören! (-Wie bei jeder anderen Sache auch…)

    Viele Grüße!

    • Hallo Nichtversteher,
      vielen Dank für Ihren Beitrag. Ich werde versuchen, auf einige Punkte Ihres Kommentars näher einzugehen. Ich möchte zwar sagen, dass der Blogbeitrag vor allem der Information über die wichtigsten Punkte der Innenausschusssitzung eingegangen bin – vieles anderes, was in der Sache auch spannend wäre – habe ich ausgelassen. Aber da ich ja meine Sympathie in der Sache nicht verhehlt habe, will ich diese auch gerne verteidigen.
      Zu Beginn möchte ich allerdings sagen, dass es für mich keine unpolitischen Menschen gibt. Es gibt lediglich Menschen, die nicht einsehen wollen, dass ihre (Nicht-)Handlungen politische Auswirkungen haben oder die ihre politischen Entfaltungsmöglichkeiten (aka Parteien, NGOs etc.) noch nicht gefunden haben. Ihr Kommentar macht ganz und gar keinen unpolitischen Eindruck – im Gegenteil: Sie bewerten die Sache und drücken damit ihre politische Meinung aus. Und von daher stört es mich auch so, wenn Körting denkt, er könne die politische Relevanz einfach negieren, indem er in jeder Frage auf BGB oder Strafrecht verweist.

      Sie schrieben: “Sind es nicht die Piraten, die sich gerne als die größten Verfechter des Rechtsstaates hinstellen? Müssten sie dann nicht eigentlich die Urteile zumindest akzeptieren?”

      Als Partei sind wir natürlich dem Recht verpflichtet. Aber zum Einnen dürfen wir natürlich Rechtsdurchsetzungen kritisieren – wie wir ja bei der aktuellen Situation mit den Abmahnungen gegen Filesharer auch deutlich tun und die Änderung des Rechts verlangen und fordern und versprechen, weswegen wir ja auch eine Partei sind. Und zum anderen sind unser großer Fokus die Grundrechte, Abwehrrechte des Bürgers GEGEN den Staat. Wir stellen uns gegen Überwachung, Geheimhaltung und die Manipulation der Bevölkerung durch Panikmache und Terrorangst und nicht für die unbedingte Durchsetzung des Rechts für Miethaie und Spekulanten.

      Sie schrieben:
      “Gibt es ein Grundrecht auf Stuck und Dielen?
      Wo ist da die gesellschaftliche Relevanz?
      Wo ist der gesellschaftliche Mehrwert?”

      Ich will nun gar nicht auf die Details des Deals eingehen, der zum Himmel stinkt (Verbot des Umbaus des Hauses, inkl. einer Tür) oder auf die Probleme mit dem Mietrecht, das man in Berlin schleunigst verbessern sollte. Es geht mir um die Frage, ob es einem Bezirk gut tut, wenn man Projekte wie die der Liebig 14 systematisch kaputt machen lässt. Und ich denke, dass dies langfristig nicht im Interesse des Bezirks liegen kann. Er verliert seinen Charakter, verliert seine Vielfalt und verliert Möglichkeiten und Orte der Solidarität zwischen Menschen. Und dabei geht es gar nicht darum, die Liebig 14 als Einzelbeispiel hervor- oder herauszuheben, sondern darum, dies als ein Beispiel der Stadtentwicklung neben vielen zu sehen, die in ihrer Gesamtheit dazu führen können, dass einer Stadt ein Gutteil ihrer lebenden Geschichte und ihrer Kultur abhanden kommt. Und das ist am Ende nicht nur schlecht für die Bewohner des Kiezes, die unter weniger Kulturangeboten und steigenden Mieten leiden müssen, sondern auch für Tourismusbranche und andere Industriebereiche. Und da haben Sie neben der gesellschaftlichen Relevanz auch gleich noch den wirtschaftlichen und den gesellschaftlichen Mehrwert mitgeliefert. Wer denkt, die Liebig 14 ginge ihn und unsere Gesellschaft per se nichts an, der lügt sich in die eigene Tasche – aber diese Person wird wohl auch gar nicht in meinem Blog kommentieren, oder? 😉

      Freundlichst,
      Ihr Fabio Reinhardt

  2. RT @Enigma424: Innenansicht auf die Liebig 14 http://t.co/vBM5SMI #Berlin #Gentrifizierung

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