Meine Rede zum bundesweiten Aktionstag

Am 22. März war der bundesweite Aktionstag gegen die Residenzpflicht, Lagerzwang und Sachleistungsprinzip. (Hier gehts zur Kampagne) Die Berliner Piratenpartei, die sich im Oktober 2010 ein sehr progressives Migrationsprogramm gegeben hat, hat die Kundgebung am Heinrichplatz mit manpower und technischem Equipment unterstützt. (Meines Wissens die erste Unterstützung einer Flüchtlingsdemo dieser Art.) In den nächsten Monaten soll die Kampagne ausgebaut werden. Ziel ist die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG), welches erstmals seit 18 Jahren auf dem Prüfstand steht. Wer sich in dieser Kampagne stärker engagieren will, sollte Kontakt zu den Initiatoren aufnehmen, kann sich aber auch gerne direkt an mich wenden.

Die verschiedenen teilnehmenden Gruppen, darunter die Initiative gegen das Chipkartensystem, die Kampagne Oury Jalloh und die Linkspartei hielten Redebeiträge. Von der Rede, die ich gehalten habe, existiert auch eine Videoqaufzeichnung. Im Folgenden ist hier noch der Text der Rede im Wortlaut.

 

“Wir schreiben das Jahr 2011. Ein Mann wohnt in der Nähe von Meinersen in einem Flüchtlingswohnheim. Er ist Nepalese. Er wartet auf seine Anerkennung als Flüchtling. Er wartet bereits seit 15 Jahren. Während er wartet, gibt es keine Privatsphäre. Er lebt mit vier bis sechs Personen auf einem Zimmer. Der Hausmeister und der Lagerleiter kontrollieren die Anwesenheit. Die Ausländerbehörde übt Druck aus. 75 Menschen teilen sich je einen Toilettenraum und einen Duschraum für Männer und einen für Frauen. Die Flure sind eng. Es gibt keinen Zugang zum Wäscheraum. Regelmäßig sind zwei der drei Pissoirs defekt. Es gibt nicht einen einzigen Gemeinschaftsraum – nicht ein Spielzimmer, Schulaufgabenzimmer oder Gemeinschaftszimmer für die Erwachsenen. [1] Dann endlich, nach 15 Jahren, bekommt der Mann Bescheid. Er wird abgeschoben. Nach 15 Jahren Abgeschiedenheit als Geduldeter, nach all der Zeit mit Beraubung elementarer Freiheiten und Selbstbestimmung, die er überstanden hat, weil er in seiner Heimat keine Hoffnung mehr sah, soll er nun dorthin zurück. Am 1. März 2011 werden sich viele Fahrgäste auf der Fahrt zwischen Hannover und Wolfsburg verspäten. Der Mann sah keinen Ausweg mehr.

Doch dies war kein Einzelfall. Die menschenunwürdige Behandlung von Flüchtlingen hat in Deutschland System. Die irrationale Angst davor, dass wir irgendwann mal ganz wenige Deutsche und ganz viele Ausländer sind, steckt in diesem Land drin. Das Grundgesetz und internationale Konventionen schreiben uns vor, Asylanträge zuzulassen, zu prüfen. Doch was wird gemacht? Die Anträge werden verzögert. Aus nichtigen Gründen abgelehnt. Die Menschen werden in unsichere Drittstaaten überstellt, wo man sie garantiert abschiebt. Und diejenigen, die hier warten, werden mit Rabattmarken und ohne Bewegungsfreiheit in Lagern gehalten. Diese Politik ist unsozial und stellt Deutschland ins Abseits. Sie ist wirtschaftlich fatal und hilft lediglich einigen Konzernen wie K&S, die sich an der Lagerpolitik bereichern. [2] Zugleich sorgt der Lagerzwang dafür, dass sich möglichst wenig Deutsche berührt fühlen, da das Elend der Flüchtlinge ja kaum zu sehen ist.

Das muss ein Ende haben! Die Menschen hier sollen sich schlecht fühlen. Die derzeitige Flüchtlingspolitik muss in die Mitte der Gesellschaft getragen werden. Zu wenige Mitbürger sehen, dass sie das Problem etwas angeht. Aber es geht sie etwas an. Eine Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit den Schwächsten in ihrer Mitte umgeht. Und das aktuelle Zeugnis ist kein Modell für die Zukunft. Und unsere Chancen dazu sind besser denn je. Über das Internet lässt sich schneller mobilisieren. Über das Internet lassen sich Informationen schneller verbreiten. Lasst uns die Flüchtlingslager an die Gesellschaft anschließen. Lasst diesen Aktionstag nur Auftakt sein für eine Welle der Solidarität und der Hoffnung. Lasst uns in den nächsten Monaten Druck ausüben, damit das Asylrecht reformiert wird, damit das Bundesverfassungsgericht das Asylbewerberleistungsgesetz aufhebt. Lasst uns die breite Masse der Menschen informieren und neue Gruppen für die Thematik interessieren. Nur im kleinen Kreis lässt sich das Problem nicht lösen. Lasst uns den Menschen erklären, was es sie angeht. Denn es geht jeden etwas an. Lampedusa ist nicht nur in Italien. Lampedusa ist überall.”

 

Seb Jabbusch war so nett, einige Bilder hochzuladen. Hier geht es zur Gallerie. Es folgt noch eine Auswahl an Fotos.

 

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