Offener Brief an Rainer Klute

Da mein Kommentar auf Rainers Blog doch etwas länger wurde, habe ich lieber gleich einen eigenen Beitrag daraus gemacht.

Lieber Rainer,

du hast auf deinem Blog von deiner Befürchtung geschrieben, die Piraten würden auf ihrem Parteitag Anträge aus dem Bereich Queer-/Familienpolitik verabschieden (vermutlich vor allem dieser und dieser), die in Konflikt zum im Grundgesetz festgeschriebenen Schutz der Ehe und Familie stehen.

Die Anträge von Lena, Maha und co wurden ja jetzt in der Tat noch in letzter Minute beschlossen. Banner der QueeratenIch würde mich trotzdem sehr freuen, wenn du dich mit dem neuen piratigen familienpolitischen Ansatz, der in seiner Progressivität ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, anfreunden könntest. Ich erkläre auch gerne im Folgenden meine Sicht dazu und wie ich auf die Idee komme, dass dies funktionieren könnte.

Ich denke nicht, dass wir der Ehe und der sehr schönen Idee, in der näheren Umgebung einer Gruppe von Menschen (die ja meistens recht groß war und nicht nur aus 2 Personen bestand) aufzuwachsen, die einen bedingungslos akzeptieren, damit schaden. Immerhin hast du doch mal so schön im Radio gesagt, dass Jesus auch Datenschützer war, da er Sünden vergeben hat, ohne ins Detail zu gehen und nachzubohren. Dann hat er doch sicherlich auch auf anderer Ebene Toleranz gegenüber denjenigen gezeigt, die sich nicht anders entscheiden konnten und die Gutes im Sinne hatten.

Daher denke ich: Jemanden so zu akzeptieren wie er ist, heißt auch zu akzeptieren, dass Menschen, die sich dafür entscheiden mit einem gleichgeschlechtlichen Partner oder mit mehreren Partnern zusammenzuleben (oder meine Güte, auch mit ihrem Geschwister, so selten das auch ist), die gleichen gesellschaftlichen Möglichkeiten der Partizipation und der Selbstorganisation gibt, wie dies bei heterosexuellen, monogamen Pärchen der Fall ist. Dies schließt eben auch das Recht auf Adoption und den Austausch weiterer Rechte mit ein, was am Ende auf etwas wie die PACS civile hinauslaufen würde. Dabei heißt dies nicht, dass man die Ehe zwischen Mann und Frau nicht noch auf andere Art und Weise in besonderer Form schützen und stärken kann. Die Kirche ist weiterhin ein starker Anker für diejenigen, die sich dort wohlfühlen und wenn die Kirche entscheidet, dass sie nur Menschen vermählt, die sich als Mann und Frau fühlen (unter den Rock gucken wird sie ja schon nicht), dann wird das einer Gruppe von Menschen eben auch gerecht. Und dass die Kirche nicht über das Ehegattensplitting entscheidet, sondern der Staat, sollte doch wohl akzeptiert werden. Und die Kirche abzuschaffen, oder ihr das Recht zu nehmen, über die Art und Weise ihrer Trauung zu entscheiden, will auch die Piratenpartei nicht.

Hessische Großfamilie um 1900 by Dieter Schütz / pixelio.deIch möchte auch anmerken: Die Familie zu schützen und sich dabei auf christliche Werte zu berufen, finde ich lobenswert. Wer aber aufgrund einer kurzen Stelle im neuen Testament, Homosexualität verdammt, der muss sich auch an die Stelle “Seid fruchtbar und mehret euch!” erinnern und all diejenigen verdammen, die das Sakrament der Ehe (das ist übrigens nicht Anfang so gewesen) (aus)nutzen, um ihren Status einer kinderlosen (Zweck-)beziehung von der Gesellschaft tolerieren, legitimieren und subventionieren zu lasen. Wahlkinderlosigkeit müsste ein bibeltreues Herz doch viel mehr zum Kochen bringen, als einen Schwulen zu sehen, der zwar nicht mit einer Frau schlafen kann, aber mit seinem Partner gerne einem Kind ein Zuhause bieten würde, welches es woanders nicht bekommt. Von der nicht vorhandenen Treue in manchem christlichen Haushalt will ich gar nicht erst anfangen zu schreiben.

Zum Schutz des Grundgesetzes wurde ja bereits einiges gesagt. Wenn die Verfasser unseres Grundgesetzes gewusst hätten, dass sich 60 Jahre später so viele Deutsche aufgrund von finanziellem Druck oder aus Bequemlichkeit oder aus anderen Gründen gegen Kinder entscheiden würden, hätten sie das Ehegattensplitting sicher nach einigen kinderlosen Jahren Ehe auslaufen lassen oder ähnliches, um dies zu verhindern. Aber wir können den Menschen eben nicht ihr Leben vorschreiben. Wer keine Kinder kriegen möchte, der muss auch nicht. Wer möchte, der sollte nach Kräften in diesem Wunsch unterstützt werden. Genauso wie die Stammesgemeinschaft von 50 Personen das vor 10.000 Jahren tat, kann das die heutige größere Gemeinschaft immer noch schaffen. Nur anders. Die Abschaffung des Art. 6 (1) GG wird ja nicht explizit gefordert und nur weil Validom meint, dies sei implizit enthalten, rücke ich doch nicht von meiner Position ab, dass wir den Familienschutz ausweiten wollen, sodass er nicht eine immer kleinere Gruppe von Menschen unter sich versammelt. Ich denke, wir dürfen uns nicht auf einen irgendwie gearteten Legalismus einlassen, in dem wir Dinge als heilig festschreiben, die offensichtlich anders gemeint waren oder sogar schon aus der x-ten Revision stammen. Das darf nicht das Maß aller Dinge sein.

Viel sinnvoller als sich über mehr Toleranz für mehr Lebensformen zu echauffieren, könnte auch der Kampf für einen säkularen Staat in der Piratenpartei sein, der die Kirche als gesellschaftlichen sinnvollen Teil seiner selbst anerkennt. Es gibt sicherlich auch Piraten, die den laizistischen Ansatz bevorzugen würden. Über die Risiken des Religionsentzugs hat Julia hat ja auf der OM10 in Kassel schon einen Vortrag gehalten: http://politik.benjamin-stoecker.de/2010/10/09/ruckblick-om10-3-piraten-als-postideologen/
Ich denke, die Mehrheit ist für einen gesunden Säkularismus, in der wir den Menschen nicht ihre Religion nehmen, aber auch dafür brauchen wir Christen unter den Piraten, die uns dabei unterstützen, diese Position zu vermitteln und mehrheitsfähig zu halten. Daher würde ich mich sehr freuen, wenn du auch weiterhin bei den Piraten bleibst und für deine Position wirbst, wie auch andere für ihre.

Fabio

PS: Vielleicht fühlen sich ja auch andere Piraten und Expiraten wie @leibowitz von diesem Blogpost angesprochen. Dies und eine eventuell daraus resultierende Diskussion ist natürlich durchaus erwünscht.

1 Comment

One Comment

  1. Ich denke, das es eine gewisse Qualität einer Paarbeziehung gibt, ab der ein Staat alles, aber auch wirklich alles zu unterlassen hat, was diese Beziehung gefährden könnte und darüberhinaus diese Beziehung gegenüber Dritten besonders zu schützen hat.
    Erkennbar und damit anerkennbar wird diese Qualität für den Staat aber erst dadurch, das die Partner ihm diese mitteilen. zB Unterschrift im Standesamt.
    Dies hat gewöhnlich sowohl Einfluß auf die Rechte und Pflichten der Partner untereinander, als auch die Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat. (Zeugnisverweigerungsrecht,…) Da sich typischerweise die Partner lebenslang wirtschaftlich aneineinander binden, werden sie typischerweise vom Staat als wirtschaftliche Einheit behandelt (zB bei Sozialleistungen und Steuern).

    Ja, man kann und sollte über die Details der steuerlichen Behandlung reden.
    Ja, man kann und sollte über die Rechte und Pflichten zwischen den Partnern reden.
    Ja, man kann und sollte über die Rechte und Pflichten zwischen Paar und Staat reden.
    Wir sind uns vermutlich darin einig, daß ein Paar ein Paar ist, unabhängig von Geschlecht und oder anderem.
    Wir sind uns vermutlich einig, daß der Staat nicht viel laxer in der Anerkennung des Paares sein kann. (falls jemand was einfällt, okay)
    Wir sind uns vermutlich einig, daß die steuerlichen Effekte des Ganges zum Standesamts, im Vergleich zum Effekt eines Kindes unangemessen hoch sind.
    Ja, man kann darüber reden eine Untermenge der Rechte und Pflichten zu nehmen und auf eine größere Gruppe auszudehnen.
    Ich hoffe, das wir uns einig sind, das es diese “besonderen Paare” gibt die den “besonderen Schutz” verdienen und benötigen. Es gab ihn zu häufig und zu lange nicht. Im Grundgesetz steht der Schutz von Ehe und Familie gleich nach der Meinungsfreiheit, später kommt die Unverletzlichkeit der Wohnung. 19 Grundrechte für die ich Pirat geworden bin und mein zwanzigstes nutzen würde.

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