Weder LiquidFeedback noch Kostenloskultur die Schuld geben

Nachdem schon wieder eine Antwort auf einen Blogpost zu lang wurde, poste ich ihn mal wieder in mein Blog. Es geht um diesen Artikel von Dirk Hillbrecht. Dazu mein Kommentar:

Hallo Dirk,
vielen Dank für den umfangreichen Artikel. Ich stimme dir nicht in allem zu, kann aber viele deiner Punkte nachvollziehen. Zu zwei Sachen wollte ich aber noch explizit antworten.

“Während ein ord­nungsgemäß eingereichter Parteiprogrammantrag eigentlich keine Chance hatte, auch nur am Rande gestreift zu werden, konnte ein abgelehnter Antrag zum Grundsatzpro­gramm problemlos im Parteiprogramm reüssieren. Sowas nenne ich Willkür in Reinkultur.”

Hier verwirrst du den Leser unnötig. Es gab Anträge zum Parteiprogramm, bzw. Grundsatzprogramm – diese Begriffe bezeichnen das selbe – die mit dem Zusatz GP gekennzeichnet waren und bald von der Redaktionskommission in einen Vorschlag für eine Erweiterung unseres aktuellen Programms eingearbeitet wird. Das andere waren Positionspapiere (PP) und Anträge zum Wahlprogramm (WP), was aber in der Realität das gleiche bedeutet: Die Piraten haben zu diesem Punkt offiziell Position bezogen – einen Anspruch, in irgendeinem Programm aufzutauchen, gibt es dadurch nicht.

Die Aussage dahinter teile ich aber. Während so manches gute Positionspapier (PP/WP) nicht behandelt wurde, da wir uns zu Beginn darauf geeinigt haben, nur über GP zu sprechen, haben manche grottenschlechte GP-Anträge es zur Verabschiedung als PP gebracht, da man sich ja in der Sache einig sei. So ein undemokratischer Prozess, der im Grund genommen nur ein Zugeständnis an das Unvermögen mancher Antragerarbeiter(!) ist, einen korrekten Antrag zu schreiben, den man mit gutem Gewissen in sein Grundsatzprogramm schreiben möchte, lädt geradezu dazu ein, in Zukunft nur noch GP zu stellen, wenn man ein PP verabschiedet haben möchte.

“Eine andere Möglich keit zu höherer Effektivität wäre, die Qualität der Anträge zu stei­gern. Hier muss man ganz klar sagen, dass Liquid Feedback eine eher unrühmliche Rolle gespielt hat.”

Hier würde ich dir deutlich widersprechen. Du hast in deinem Artikel korrekt die Probleme aufgezeigt, die dazu führten, dass wir teilweise über sehr schlechte Anträge debattierten. Ich persönlich war auch sehr enttäuscht davon, dass die Piraten im Axel Müller-Verfahren einen Block, der zum größten Teil dämliche/überflüssige Anträge enthielt (Transparenz) und einen, der gar keine (!) GP-Anträge enthielt auf die obersten Plätze hievten. An dieser Stelle muss ganz klar auf die Sitzungsleitung (die es versäumte, den Teilnehmern in übersichtlicher Form darzustellen, über WAS sie jetzt Axel Müllern soll) und die Antragskommission (bzw. ihre eingeschränkten Möglichkeiten, dazu blogge ich aber selbst noch unter htt://enigma424.wordpress.com ) verwiesen werden.
Liquid Feedback als Tool verantwortlich zu machen, halte ich für extrem unsinnig. Wenn nun jemand jede Forderung, die sich im Wiki versteckt als Antrag gestellt hätte, hättest du dann das Wiki verurteilt? Wenn jemand jede Forderung, die im Internet steht, … du siehst wohin das führt. Dass dies aber nicht mit dem Internet geschah, sondern mit LF, zeigt, welch hohe Qualität die Anträge dort schon erreichen. Der Fehler war also ganz eindeutig, sich nicht vor Vermassung zu schützen, besser vorzusortieren und auch früher festzulegen, was überhaupt auf dem Parteitag besprochen werden soll.

BTW, genausogut hätte man sagen können, es war ein Fehler der Teilnehmer über Anträge, die eine überwältigende Mehrheit in LF hatten, überhaupt diskutieren zu wollen – eine Aussage, die ich so natürlich nicht treffen würde, die aber genau so logisch ableitbar wäre wie deine obige.

“Ob das auch mit der „Kostenlosmentalität” vieler Teilnehmer zusammen hängt? Wer für kleines Geld anreist und für lau übernachtet, dem ist es vielleicht auch weniger wichtig, dass ein solches Zusammentreffen ergebnisorientiert abläuft. Das ist dann aber denjenigen gegenüber umso unfairer, die Zeit und Geld für dieses Wochenende investiert haben — und gegen über den politischen Zielen der Piratenpartei.”

Wie ich oben schon geschrieben habe, war ich auch von einigen Entscheidungen des Plenums recht enttäuscht. Auch deine Kritik, dass wir viel zu lange über nicht diskussionsrelevante Punkte diskutiert haben, teile ich. Dies jedoch auf die zu geringen Kosten (lies:Hürden) für die Anreise zu reduzieren, halte ich für völlig in die falsche Richtung gehend. Wir haben tatsächlich ein Demokratiedefizit auf Parteitagen. Denn die Anreisekosten sind für die Mitglieder unterschiedlich hoch. Wer vom Veranstaltungsort weit entfernt wohnt, der zahlt mehr. Wer weniger verdient, der empfindet die Kosten als höher als die anderen. Beide dieser Mängel fallen durch ein Delegiertensystem bzw. eine Fahrtkostenübernahme für Teilnehmer nicht an.

Unser Ziel sollte es aber sein, ALLE Hürden für politische Beteiligung zu reduzieren, für Beteiligung IN der Piratenpartei natürlich erst recht. Bis wir also eine wirklich gute Lösung für die momentane sehr unbefriedigende Situation erschaffen haben (dezentrale Parteitage oder ähnliches), müssen wir zumindest alle anderen Beteiligungshürden so stark wie möglich senken. Durch das Zurverfügungstellen von Schlafplätzen (Abbruchhaus/Halle) und das Organisieren von gemeinsamen Fahrten (zB die kostenlose Busfahrt von Berlin, die ich für Bingen organisiert habe) kann man die anfallenden Kosten für Teilnehmer soweit reduzieren, dass man das Demokratiedefizit zumindest etwas mindert.

Was wir aber beide kritisieren, ist eigentlich mangelnde Vorbereitung und Trollerei. Dies ist natürlich seit Beginn der Partei als auftauchendes Problem bei geringen politischen Hürden bekannt. (Ich erinnere dich an unsere Diskussionen 2007/2008 über die Trollerei auf der NDS-ML) Und Trollerei kann auch durch ein Delegiertensystem nicht verhindert, ausreichende Vorbereitung und Abstimmen nach dem eigenen Gewissen nicht erzwungen werden. Das heißt, die Partei muss ich selbst schützen, indem sie sich sinnvolle Strukturen gibt und stärker führt, lenkt und informiert. Von der Aussage, dass die zu geringen Anreisekosten, wichtige Arbeit behindert hätten, würde ich dir insofern eine Distanzierung empfehlen.

Es grüßt in die (Ex-)Heimat,
Fabio

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Offener Brief an Rainer Klute

Da mein Kommentar auf Rainers Blog doch etwas länger wurde, habe ich lieber gleich einen eigenen Beitrag daraus gemacht.

Lieber Rainer,

du hast auf deinem Blog von deiner Befürchtung geschrieben, die Piraten würden auf ihrem Parteitag Anträge aus dem Bereich Queer-/Familienpolitik verabschieden (vermutlich vor allem dieser und dieser), die in Konflikt zum im Grundgesetz festgeschriebenen Schutz der Ehe und Familie stehen.

Die Anträge von Lena, Maha und co wurden ja jetzt in der Tat noch in letzter Minute beschlossen. Banner der QueeratenIch würde mich trotzdem sehr freuen, wenn du dich mit dem neuen piratigen familienpolitischen Ansatz, der in seiner Progressivität ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, anfreunden könntest. Ich erkläre auch gerne im Folgenden meine Sicht dazu und wie ich auf die Idee komme, dass dies funktionieren könnte.

Ich denke nicht, dass wir der Ehe und der sehr schönen Idee, in der näheren Umgebung einer Gruppe von Menschen (die ja meistens recht groß war und nicht nur aus 2 Personen bestand) aufzuwachsen, die einen bedingungslos akzeptieren, damit schaden. Immerhin hast du doch mal so schön im Radio gesagt, dass Jesus auch Datenschützer war, da er Sünden vergeben hat, ohne ins Detail zu gehen und nachzubohren. Dann hat er doch sicherlich auch auf anderer Ebene Toleranz gegenüber denjenigen gezeigt, die sich nicht anders entscheiden konnten und die Gutes im Sinne hatten.

Daher denke ich: Jemanden so zu akzeptieren wie er ist, heißt auch zu akzeptieren, dass Menschen, die sich dafür entscheiden mit einem gleichgeschlechtlichen Partner oder mit mehreren Partnern zusammenzuleben (oder meine Güte, auch mit ihrem Geschwister, so selten das auch ist), die gleichen gesellschaftlichen Möglichkeiten der Partizipation und der Selbstorganisation gibt, wie dies bei heterosexuellen, monogamen Pärchen der Fall ist. Dies schließt eben auch das Recht auf Adoption und den Austausch weiterer Rechte mit ein, was am Ende auf etwas wie die PACS civile hinauslaufen würde. Dabei heißt dies nicht, dass man die Ehe zwischen Mann und Frau nicht noch auf andere Art und Weise in besonderer Form schützen und stärken kann. Die Kirche ist weiterhin ein starker Anker für diejenigen, die sich dort wohlfühlen und wenn die Kirche entscheidet, dass sie nur Menschen vermählt, die sich als Mann und Frau fühlen (unter den Rock gucken wird sie ja schon nicht), dann wird das einer Gruppe von Menschen eben auch gerecht. Und dass die Kirche nicht über das Ehegattensplitting entscheidet, sondern der Staat, sollte doch wohl akzeptiert werden. Und die Kirche abzuschaffen, oder ihr das Recht zu nehmen, über die Art und Weise ihrer Trauung zu entscheiden, will auch die Piratenpartei nicht.

Hessische Großfamilie um 1900 by Dieter Schütz / pixelio.deIch möchte auch anmerken: Die Familie zu schützen und sich dabei auf christliche Werte zu berufen, finde ich lobenswert. Wer aber aufgrund einer kurzen Stelle im neuen Testament, Homosexualität verdammt, der muss sich auch an die Stelle “Seid fruchtbar und mehret euch!” erinnern und all diejenigen verdammen, die das Sakrament der Ehe (das ist übrigens nicht Anfang so gewesen) (aus)nutzen, um ihren Status einer kinderlosen (Zweck-)beziehung von der Gesellschaft tolerieren, legitimieren und subventionieren zu lasen. Wahlkinderlosigkeit müsste ein bibeltreues Herz doch viel mehr zum Kochen bringen, als einen Schwulen zu sehen, der zwar nicht mit einer Frau schlafen kann, aber mit seinem Partner gerne einem Kind ein Zuhause bieten würde, welches es woanders nicht bekommt. Von der nicht vorhandenen Treue in manchem christlichen Haushalt will ich gar nicht erst anfangen zu schreiben.

Zum Schutz des Grundgesetzes wurde ja bereits einiges gesagt. Wenn die Verfasser unseres Grundgesetzes gewusst hätten, dass sich 60 Jahre später so viele Deutsche aufgrund von finanziellem Druck oder aus Bequemlichkeit oder aus anderen Gründen gegen Kinder entscheiden würden, hätten sie das Ehegattensplitting sicher nach einigen kinderlosen Jahren Ehe auslaufen lassen oder ähnliches, um dies zu verhindern. Aber wir können den Menschen eben nicht ihr Leben vorschreiben. Wer keine Kinder kriegen möchte, der muss auch nicht. Wer möchte, der sollte nach Kräften in diesem Wunsch unterstützt werden. Genauso wie die Stammesgemeinschaft von 50 Personen das vor 10.000 Jahren tat, kann das die heutige größere Gemeinschaft immer noch schaffen. Nur anders. Die Abschaffung des Art. 6 (1) GG wird ja nicht explizit gefordert und nur weil Validom meint, dies sei implizit enthalten, rücke ich doch nicht von meiner Position ab, dass wir den Familienschutz ausweiten wollen, sodass er nicht eine immer kleinere Gruppe von Menschen unter sich versammelt. Ich denke, wir dürfen uns nicht auf einen irgendwie gearteten Legalismus einlassen, in dem wir Dinge als heilig festschreiben, die offensichtlich anders gemeint waren oder sogar schon aus der x-ten Revision stammen. Das darf nicht das Maß aller Dinge sein.

Viel sinnvoller als sich über mehr Toleranz für mehr Lebensformen zu echauffieren, könnte auch der Kampf für einen säkularen Staat in der Piratenpartei sein, der die Kirche als gesellschaftlichen sinnvollen Teil seiner selbst anerkennt. Es gibt sicherlich auch Piraten, die den laizistischen Ansatz bevorzugen würden. Über die Risiken des Religionsentzugs hat Julia hat ja auf der OM10 in Kassel schon einen Vortrag gehalten: http://politik.benjamin-stoecker.de/2010/10/09/ruckblick-om10-3-piraten-als-postideologen/
Ich denke, die Mehrheit ist für einen gesunden Säkularismus, in der wir den Menschen nicht ihre Religion nehmen, aber auch dafür brauchen wir Christen unter den Piraten, die uns dabei unterstützen, diese Position zu vermitteln und mehrheitsfähig zu halten. Daher würde ich mich sehr freuen, wenn du auch weiterhin bei den Piraten bleibst und für deine Position wirbst, wie auch andere für ihre.

Fabio

PS: Vielleicht fühlen sich ja auch andere Piraten und Expiraten wie @leibowitz von diesem Blogpost angesprochen. Dies und eine eventuell daraus resultierende Diskussion ist natürlich durchaus erwünscht.

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Alex Müller hat gesprochen

So, mittlerweile befinden wir uns in Chemnitz und die Piraten sind mitten im lange erwarteten Prozess der Programmerweiterung. Um ihr Parteiprogramm (Grundsatzprogramm = GP) möglichst umfassend zu erweitern, haben sie direkt zu Beginn entschieden, alle Anträge zum Wahlprogramm und Positionspapiere nach den Anträgen zum Grundsatzprogramm (also nicht) beschieden werden. Das bedeutet natürlich, dass die Zahlen der Anträge pro Antragsgruppe in meinem letzten Blogartike hinfällig sind. Ich habe einfach nochmal ins Antragsbuch geschaut, wie viele Anträge zum Grundsatzprogramm in der jeweiligen Antragsgruppe aufgeführt sind. Mittlerweile wurde auch über die Reihenfolge der Antragspunkte bestimmt. Im Alex-Müller-Verfahren wurde diese Reihenfolge beschlossen. Diese sieht nun so aus (Änderungen an der TO sind immer noch möglich):

1. Internet und Medien: 5 Anträge zum Grundsatzprogramm
2. Tranparenz und Korruptionsbekämpfung: 1 Antrag zum Grundsatzprogramm
3. BGE: 2 Anträge zum Grundsatzprogramm
4. Bildung und Wissenschaft: 9 Anträge zum Grundsatzprogramm
5. Demokratie: 3 Anträge zum Grundsatzprogramm
6. Urheberrecht: 3 Anträge zum Grundsatzprogramm
7. Datenschutz: 0 Anträge zum Grundsatzprogramm
8. Umwelt und Energie: 9 Anträge zum Grundsatzprogramm

Die Anträge bedingen sich natürlich auch gegenseitig; im Bereich Internet und Medien können unter Umständen auch noch 2 Anträge wegfallen.

Für mich persönlich bedeutet dies, dass wir einige gute Programmbereiche, die wir in Berlin schon abgestimmt haben – also vor allem Suchtpolitik, Integrations- und Migrationspolitik und Geschlechts- und Familienpolitik nicht besprechen werden, was ich für einen großen Fehler halte. Das gilt es dann 2011 dringed nachzuholen. Interessant ist außerdem, dass stattdessen 135 Piraten für Datenschutz gestimmt haben, in dem es gar keine Grundsatzprogrammanträge gibt. Aber vielleicht wussten die Piraten das ja auch und wollten einfach ein Zeichen pro Datenschutz setzen. Man weiß ja nie…


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Zur Antragsreihenfolge in Chemnitz

Ahoi stimmberechtigte Piraten!

Wie stimmt man ab in Chemnitz? Das beschäftigt die Republik. In keiner anderen Partei in Deutschland hat man als Mitglied so viel Stimmrecht und -gewalt. Das bringt auch Ärger und Arbeit mit sich. Vor allem die Anträge sind ein riesiger Wust. Die Antragskommission hat sich große Mühe gegeben, diese zu sichten und aufzubereiten. Der Rest liegt an Euch.

Zur Orientierung und für zusätzlichen Input zu den einzelnen Anträgen empfehle ich ein Spreadsheet, in dem sich eine Gruppe Berliner Piraten, die sich die Mühe gemacht hat, den Großteil der Anträge noch einmal durchzugehen, ihre Ergebnisse und Empfehlungen notiert hat. Inwiefern man diesen dann zustimmt, hängt natürlich größtenteils davon ab, inwiefern die eigenen Kritierien mit denen der Gruppe übereinstimmt. Eigenes, kritisches Denken kann dies nicht ersetzen.

Fast noch wichtiger ist aber die Frage, WANN man über WELCHE Anträge abstimmt. Und auch darüber habt IHR die Stimmgewalt. Dafür wurden 22 verschiedene Antragsgruppen erstellt. Am Samstag werden wir im Schulze Alex-Müller-Verfahren Stimmen vergeben an die Anträge, die wir als erstes abstimmen wollen. Die vergebenen Stimmen bestimmen dann die Reihenfolge, in der die Antragsgruppenabgestimmt werden. Die Crew Prometheus hat sich heute abend getroffen und über die Reihenfolge diskutiert. In der Folge schreibe ich meine persönlichen Ergebnisse des heutigen Abends mit Empfehlungen auf. Das Durchleuchten der Anträge und ihrer Übersicht basierte aufVersion 2 dieses Dokuments (PDF), welches die Antragskommission als Übersicht zusammengestellt hat.

Die Fragen und damit meine Prämissen waren:
– Gibt es in diesem Bereich auch Grundsatzuprogrammanträge (GP) oder nur Wahlprogrammanträge (WP) und Positionspapiere (PP)?
– Falls ja, sind diese zu einem neuen Themenbereich? Ich halte es im Rahmen der moderaten Erweiterung für wichtig, noch dieses Jahr neue Bereiche mit aufzunehmen.
– Wie viele Anträge (miteinander konkurriende Anträge wurden als eines gezählt, da diese unter Umständen nicht länger dauern als einzelne)  gibt es der Gruppe? Zu viele würde uns daran hindern, uns neuen Bereichen zuzuwenden.
– Wie intensiv wurde dazu schon diskutiert (Liquid/Antragsfabrik)? Dann wird die Diskussion voraussichtlich schneller gehen.
– Basiert dieser Bereich evtl. auf einem anderen Bereich? (Bsp.: Pazifismus und Militär hängt von stark davon ab, ob vorher schon Außenpolitik behandelt wurde.)

Ein “+” bedeutet, dass man dafür stimmen sollte, dass dieser Antragsbereich möglichst früh behandelt wird. Ein “-” bedeutet möglichst spät. “+/-” ist unentschieden.

Außenpolitik: – GP WP 9 Empfehle das Thema zu verschieben, da es vermutlich eine lange Diskussion um das Grundsatzprogramm geben wird und andere Themen wichtiger sind

BGE: + GP PP 3 Egal ob dafür oder dagegen sollte das Thema früh und intensiv behandelt werden.

Bildung: – GP WP PP 38 Ans Ende ziehen, da GP bereits existiert

Datenschutz: – WP 4 Themenbereich existiert schon.

Demokratie: +/- GP WP 7 Eigentlich wichtige Themen, zu denen wir aber oft schon Position beziehen.

Drogen: + GP WP 3 Neuer Bereich, geht voraussichtlich recht schnell

Einwanderung, Asyl, Integration: + GP PP 3 s.o.

Familie & Gender & Jugendschutz: + GP WP PP 16 Sehr umfangreich, aber wichtig. Vieles war schon in der Antragsfabrik Konsens (insofern wenig Beratungsbedarf) und wurde dann in Bingen verschoben.

Finanzen: – GP WP 2 Eher verschieben; es wäre sehr ungünstig, nur eine Forderung in einem eigenen Bereich Finanzpolitik zu haben.

Gesundheit: – GP WP 6 Entbehrlich…

Infrastruktur und Verkehr: +/- GP WP PP 5 Das sehr positiv beschiedene Grundsatzprogramm Bauen und Verkehr wäre sicher eine sinnvolle Bereicherung, allerdings sind andere Themen evtl. noch wichtiger.

Inneres: +/- 16 Im Bereich Inneres sind viele gute Anträge, wird aber sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Da wir in diesem Bereich schon Positionen haben, sollte es wohl nach den neueren und schmaleren Bereichen besprochen werden.

Internet und Medien: + GP WP PP 14 Zwar viele Themen, aber die meisten sind wohl hochgradig konsensfähig.

Parteiinternes: — GP WP PP (Viele) Bitte ablehnen, sonst schaffen wir nichts anderes…

Pazifismus und Militär: – WP PP Siehe Außenpolitik

Programmdebatte: +/- Ist sehr wichtig. Sollten wir aber am besten am Sonntag abstimmen, evtl. kann einige der Entscheidungen auch der Vorstand treffen.

Satzung: – Entfällt.

Staat und Religion: + GP WP 4 Das sollte man schnell durchstimmen können.

Staatsorga: – GP WP 3 Der Bereich wäre sicher schnell abstimmbar, ist aber nicht so elementar.

Transparenz und Korruptionsbekämpfung: +/- GP WP 22 Bewertung ist schwierig, da man die Anträge auch ganz anderen Bereichen zuordnen könnte.

Umwelt und Energie: +/- GP WP PP 17 Besser weiter nach unten wählen. Es ist ein dicker Klops, der sehr lange dauern wird und es gibt wichtigeres.

Urheberrecht: – GP WP PP 7 Das Urheberrecht ist im Programm schon sinnvoll ausgestaltet. Andere Themen sind wichtiger.

Werte und Menschenbild: – GP Das Menschenbild ins Grundsatzprogramm zu schreiben, beschwört viele Probleme herauf. Wir können darauf festgenagelt werden und engen uns ein. Zudem würde dieser Punkt voraussichtlich sehr lange dauern.

Wirtschaft und Soziales: +/- GP WP PP 29 Siehe Umwelt und Energie

Das wars. Das Ganze ist natürlich recht subjektiv und hängt davon ab, ob man meine Prämisse, die behutsame Themenerweiterung sei momentan der beste Weg für die Partei, auch teilt. Auch den anderen ist ja vielleicht mit der Übersicht, welche Anträge in welchem Bereich vorkommen und wie viele Anträge es gibt, ein wenig geholfen.

Fazit: Von der Reihenfolge hängt vieles ab. In welcher Antragsgruppe ein Antrag steht, auch. Wenn ein Antrag alleine steht, hat er sicher gute Chancen schnell vorweg behandelt zu werden. Steht er in einem komplexen Themenbereich, zu dem sich vielleicht die Mehrheit der Piraten noch nicht äußern will, sieht es für den gleichen Antrag schlecht aus. Die Zuteilung der Themengruppen ist aber fragwürdig, bisweilen willkürlich wirkend. Warum ein NATO-Positionspapier nicht zu Außenpolitik gehört und BGE nicht zu Sozialpolitik, das Lobbyregister von Politikerkarenzzeiten getrennt ist, erschließt sich nicht. Leider wird wohl vor Ort kaum noch die Zeit finden, eine komplett neue Zuordnung festzulegen. Trotzdem möge die Antragskommission dies nicht als Kritik an ihrer Arbeit, sondern am System an sich verstehen. Viel Spaß beim Abstimmen!

Ach ja: Bitte flattrt diesen Beitrag, da ich bis nach 21.00 Uhr aufbleiben musste, um ihn zu schreiben. Wenn er mehr als 5 Euro einbringt gebe ich davon für die Crew Prometheus + Gäste eine Runde aus.  Wenn es mehr als 10 Euro sind, denke ich auch noch an die Antragskommission.

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Zusammenfassung der Anhörung

Nachdem ich nun also aufgrund einer Kombination von Dummheit und widriger Unmstände nicht in persona an der Anhörung teilnehmen konnte, berichte ich hier noch einmal etwas ausführlicher über meinen Eindruck aus dem Stream der Anhörung und versuche ein Zwischenfazit zu ziehen.

Die Teilnehmerzahl der Abgeordneten war sehr überschaubar. Am Dienstag waren die Reihen wenigstens halb besetzt, am Mittwoch, wo der eigentlich spannende Teil mit Diskussionen zu “NATIONAL PERSPECTIVE AND BEST PRACTICES” und “CIVIL SOCIETY” stattfand, gab es mehrere parallel Veranstaltungen, sodass nur etwa ein Dutzend MEPs im Raum saß, von denen nur 5 aktiv Fragen stellten.

Zu Beginn legten die Berichterstatterinnen des Kultur- und des Frauenausschusses ihre Positionen dar. Der Kulturausschuss, repräsentiert durch Berichterstatterin Petra Kammerevert, lehnt die Sperren ab, der Frauenauschuss steht diesen positiv gegenüber. Maßgeblich wird jedoch das Urteil des Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten (LIBE) sein, da dieser federführend in der Frage ist.

Die Redner waren (wie Christian schon beschrieb) zum größten Teil Sperrbefürworter. Deutlich überrepräsentiert waren dabei Mitglieder von eNASCO, welche nicht nur für Sperren sind, sondern auch noch von der Kommission finanziert werden, was ein besonderes Geschmäckle nach sich zieht.

Wichtig ist festzustellen, dass sich die Argumentation der Sperrbefürworter durchaus weiterentwickelt hat. Mit dem verharmlosenden Argument, man wolle immer nur dann sperren, wenn das löschen nicht möglich ist (z.B. in Ländern, die nicht ausreichend kooperieren), hatte sich Zensursula bereits die Finger verbrannt. Berichterstatterin Angelilli und einige der “NGO-Vertreter” betonten zwar (notwendigerweise) auch die Schwierigkeiten der effektiven internationalen Kooperation, wiesen aber Sperren nicht als Fallback, sondern vor allem als Übergangslösung aus, welche als Brückentechnologie (wem kommt das nun bekannt vor?) den Zeitraum bis zur endgültigen Löschung überwinden solle. Auf den Vorwurf Christian Bahls´ (MOgIS), Sperren seien eine Entschuldigung für Inaktivität und Take-Downs von Phishing-Seiten bräuchten schließlich auch keine Brückentechnologie, antwortete Angelilli nicht.

Ansonsten hörte man oft genug das gute altbekannte “Man muss doch irgendwas tun” und “Für den Schutz der Kinder ist jedes Mittel Recht”. Christian Hoppe ging sogar noch einen Schritt weiter und forderte, dass das Zur Verfügung stellen von Links auf kinderpornographische Seiten unter Strafe gestellt würde (Heise berichtete) und offenbarte damit erneut das krude Verständnis des BKA von der Funktionsweise des Internet.
Hilfreich waren insgesamt die kurz von der Anhörung veröffentlichten Studien der European Financial Coalition zum Mythos Massenmarkt (PDF) und vom AK Zensur vom Mythos der Unmöglichkeit des internationalen Zusammenarbeitens (PDF), die von Sperrgegnern zitiert werden konnten. Gut war auch die Kritik der von der Kommission nicht näher spezifizierten Art des Blockens von Joe McNamee und sein Hinweis, dass das Versprechen der Kommission Overblocking um jeden Preis zu verhindern hinfällig sei, da dies schon jetzt der Realität entspreche.

Zwischenfazit und Empfehlung
1.  Medienaufmerksamkeit
Die Berichterstattung war insgesamt gering. Neben einem Bericht bei Heise ist insgesamt nur wenig zu finden. Ich habe im Vorfeld mit mehreren Medien telefoniert, die mir gesagt haben, dass sie keinen Nachrichtenwert in der Anhörung sehen, da dort keine Entscheidung getroffen wurde, was nachvollziehbar ist. Je mehr sich der Entscheidungsprozess dem Ende nähert, wird die Aufmerksamkeit steigen. Mal schauen, ob das dann nicht schon zu spät ist.

2. Abgeordneteneinnordung
Hier muss man sagen, dass dies insgesamt recht gut geklappt hat. Durch die Mobilisierung von Netzpolitik.org und der Tak Force Censilia wussten mindestens die Mitarbeiter der MEPs, dass sich viele Menschen um Netzsperren sorgen und man sich an diesem Thema durchaus verbrennen kann. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, macht doch das Blocken nur einen von 16 Gründen (Grund 13, Seite 13) und einen von 26 Artikeln (Artikel 21, Seite 27) der Richtlinie aus. Die Gefahr, dass die Sperren einfach so unbeobachtet durchgehen, ist also schon mal gebannt. Dementsprechend wurden die Netzsperren auf der Anhörung sogar zum mit Abstand meistdiskutierten Thema.

3. Kräfteverhältnisse
Leider sprechen die Kräfteverhältnisse nicht unbedingt für uns, da die Konservativen die größte Fraktion im Parlament und damit auch in den Ausschüssen darstellen. Wichtig sind die Entscheidungen der Liberalen (ALDE) und der Sozialdemokraten (S&D). Auf diese muss man eine Anstrengungen der nächsten Zeit konzentrieren.

4. Fahrplan
Ich denke, es ist wichtig, die nächsten Tage aktiv zu bleiben, damit die Abgeordneten nicht davon ausgehen können, dass das Interesse nur während der Anhörung hoch war.  Ruft an und fragt sie, ob sie sich schon ein Urteil gebildet haben. Sammelt die Antworten, zum Beispiel hier. Falls sie Sperren in Erwägung ziehen, versucht einen Gesprächstermin zu bekommen oder vermittelt Christian oder Joe einen Termin. Falls ihr einen von der S&D oder ALDE erwischt, die gegen Sperren sind, dann fragt nach, welche ihrer Kollegen noch “Gesprächsbedarf” haben. Alle eure Abgeordneten sind eure potentiellen Verbündeten. Macht sie dazu! Ruft eure regionalen Abgeordneten zuerst an. In Deutschland wählt ihr nicht die finnischen, in Finnland nicht die schwedischen Abgeordneten, das wissen sie auch.
Im Oktober wird der Richtlinienvorschlag im Rat vorgestellt. Danach wird diskutiert und ein Vorschlag durch die Ausschüsse ausgearbeitet, der dem Parlament vorgelegt werden soll. Meine Empfehlung wäre, irgendwann vor dem nächsten Schritt eine Aktion zu starten. Diese sollte wieder konzertiert sein, aber auch auf den Punkt und präzise formuliert. Die MEPs haben bereits viele Mails bekommen, mehr wird sie nicht beeindrucken.

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Streik!

Am Brüsseler Flughafen streiken bis morgen um 14.00 Uhr die Fluglotsen. Die Reise fällt daher aus 🙁

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Live Broadcast der Anhörung zu den Netzsperren

Der heutige Teil der Anhörung ist von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr unter diesem Link zu verfolgen:

http://www.europarl.europa.eu/wps-europarl-internet/frd/live/live-video?eventId=20100928-1500-COMMITTEE-LIBE&language=en

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Erste Rückschläge für Netzsperrengegner

Netzsperren sind eine üble Sache. Ein ebenso unterschätztes Problem ist die Flugsperre. Diese bekommt man, wenn man ohne Ausweis versucht, das Flugzeug zu boarden. Als alter Flughase und Meilensammler bin ich es eigentlich gewohnt, früh aufzustehen und an alles Notwendige zu denken. Nachdem ich heute noch fünfmal meine Zahnbürste gecheckt hatte, überlegte ich sogar noch, meinen Reisepass mitzunehmen. Unnötig natürlich, da auf innereuropäischen Flügen der Personalausweis ausreicht, welchen ich stets bei mir trage. Leider befand sich der Ausweis heute morgen nicht im Portmoinee, weswegen ich den Flug nach Brüssel um 7.00 Uhr in Schönefeld nicht nehmen konnte. Mein Perso ist immer noch nicht wieder aufgetaucht und muss daher wohl als verloren gemeldet werden. wurde mittlerweile gefunden. Er befand sich unter den Utensilien, mit denen ich am Bremer Marathon teilnahm. Da soll noch einer sagen, Sport macht mobil.

Nach zähen Verhandlungen (klingt irgendwie besser als “Standardprozedur”) konnte ich jedoch für € 52,- noch einen Flug für heute abend 19.45 bekommen, sodass ich gegen 21.00 Uhr in Brüsel ankomme werde. Wie Christian hier schon geschrieben hat, ist der morgige Anhörungstag der eigentlich wichtige. Und Zeit für Gespräche findet sich morgen auch noch zwischen 12 und 18 Uhr. Ich kann die Zeit heute noch dazu nutzen, Termine für morgen zu vereinbaren und Last Minute Infos an die MEPs zu geben.

Besonders positiv ist in diesem Zusammenhang, dass die European Finanicial Commission jüngst eine Studie veröffentlichte (PDF), der dem vielbeschworenen Massenmarkt mit Kinderpornografie im Internet – einem der Kernsargumente von der Leyens – den Gar aus machen wird. Heise hat dies in langer Version beschrieben. Wer jedoch glaubt, dass dies schon ausreichen wird, um den Kampf zu gewinnen, liegt jedoch schief. Die besseren Argumente zu haben, ist noch kein Grund am Ende auch zu obsiegen. Aber es hilft zumindest, dazu eine aktuelle Studie vorlegen zu können.

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Morgen nach Brüssel

Nachdem der Bundesvorstand letzte Woche entschieden hat, dass es sinnvoll ist, einen Piraten zur Anhörung nach Brüssel zu schicken, werde ich also den Flieger morgen früh um 7 Uhr nehmen. Um 8.30 komme ich in Brüssel an und fahre dann direkt ins Parlament, die Anhörung zur Kinderschutz-Direktive der Kommission beginnt um 15 Uhr. Warum die Chancen für die Gegner der Netzsperren momentan nicht sooo gut aussehen, hat Christian schon bei MOGiS ganz gut beschrieben. Julia, Fasel und die anderen von der Taskforce “Censilia” haben die Sache ganz gut vorbereitet, indem sie dazu aufriefen, die Abgeordneten mit freundlichen Aufklärungsanrufen und-mails zu behelligen, damit diese schon mal wissen, dass es in Deutschland noch immer viele gibt, denen das freie Internet doch sehr am Herzen liegt.

Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass die deutschen Piraten und anderen Netzinteressierten möglichst gut informiert sind und umfangreiche Möglichkeiten haben, sich einzubringen. Mein Terminkalender in Brüssel, die Adressen und Reaktionen der zu kontaktierenden Abgeordneten finden sich hier.  Ich werde versuchen, möglichst viel zu twittern, bloggen usw. Und während der Anhörung wollen wir einen Live-Chat einrichten, in den man Fragen einbringen kann. Diese werden aber voraussichtlich nicht von uns gestellt werden, da die Zeit in der Anhörung derart knapp bemessen ist, dass voraussichtlich nur die Abgeordneten Fragen stellen dürfen. Wir werden also versuchen, die uns wohlgesonnenen MEPs mit ins Boot, bzw. in den Chat zu holen. Näheres dazu gibt es morgen hier. Bei Fragen nutzt die Kommentare oder eine der zahlreichen hier beschriebenen Kontaktmöglichkeiten.

Fabio Reinhardt

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Rechtspopulismus: Aufmerksamkeit als Selbstzweck

Am vergangenen Freitag führte die Ankündigung der Neugründung einer berlinweiten Partei zu zahlreichen Nachrichten-Artikeln. Das mittlerweile fraktionslose Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses René Stadtkewitz lud zur Pressekonferenz, auf der er die Gründung der Partei “Die Freiheit” zu Ende des Jahres verkündigte. Stadtkewitz war zuvor vor allem durch die Einladung des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders nach Berlin aufgefallen, wegen der er letztendlich auch aus der Berliner CDU-Fraktion und -Partei ausgeschlossen wurde. Bei der Konferenz anwesend waren auch “Mitgründer” Marc Doll (Austrittserklärung) und Stefan “Aaron” Koenig, der von Juli 2009 bis Mai 2010 Beisitzer im Bundesvorstand der Piratenpartei war. Wie zu erwarten bietet die Gruppe über ihre Moscheekritik hinaus inhaltlich kaum Angriffsfläche und präsentierte auch am Freitag außer Floskeln nichts handfestes.

Wie sind also die Chancen des Ex-CDU-Hinterbänklers, des Ex-Nicht-Politikers / Ex-Journalisten (Koenig) und des Ex-Karrieristen einzuschätzen? Eigentlich wäre dies eine klar negativ zu beantwortende Fragestellung, gäbe es da nicht ein gewisses Mitglied einer ganz anderen Partei, das in den letzten drei Wochen die durch das Sommerloch gebeutelten Journalisten gesund pflegte. Seit dem Erscheinen der ersten Zitate aus Sarrazins Buch Ende August zeigen uns bekannte Medien wie Bild und Spiegel in vorbildhafter Manier, wie man ein eigentlich irrelavantes, mittelmäßig recherchiertes und mittelmäßig geschriebenes Buch mit vermeintlich kritischer Berichterstattung zum Tagesgespräch machen kann. TV-Runden (Kerner, Beckmann, Will) nahmen sich dies dann auch gleich brav zum Vorbild. (Mehr dazu hier und danke dafür an Robin Meyer-Lucht)

Zusammen mit der Tatsache, dass seit mindestens Juni die Zahl von ca. 20 % Wähler an, die eine Partei rechts der CDU wählen würde, in den Medien jongliert wird, war es natürlich ebenso folgerichtig wie clever, zu einem Zeitpunkt wo der Hype um Sarrazins “Thesen” abebbte oder durch konstruktive Beiträge ersetzt wurde, noch schnell eine Pressekonferenz abzuhalten, auf der verkündet wird, was in den Medien bereits diskutiert wird, nämlich die Gründung einer neuen rechtskonservativen Kraft. Dass die befürchtete/erhoffte Beteiligung bekannter Gesichter wie Sarrazin, Clement oder Merz entfiel, dass es mit Pro Berlin bereits eine rechtspopulistiche Partei gibt, und dass die Ankündigung der Gründung bereits zum zweiten Mal erfolgte (nach der im Mai auf dem Blog Koenigs), hielt die Medien nicht von ihrer förmlichen und langweiligen Berichterstattung über das Event ab.

Nun wurde zwar schon an vielen Stellen über die Zahl der Menschen geschrieben, die bereit wären, eine Partei dieser Art zu wählen, kaum jedoch über die Zahl derer, die bereit wären, diese mit ihrer Arbeit und Aktivität zu unterstützen. Dass diese äußerst gering wäre, ist wahscheinlich. Zu einem Mangel an charismatischen Führungsfiguren, Denkern und Themen gesellt sich ein Überangebot an rechtspopulistischen/-konservativen/-extremen Parteien in Berlin und Deutschland. Das einzige, was dieser Gruppe Leben einhaucht, ist damit ihre Präsenz in den Medien. Um dies zu veranschaulichen, ist es sinnvoll, einen Blick auf Stefan “Aaron” Koenigs kurze, aber erhellende Karriere in der Piratenpartei zu werfen.

Die Piratenpartei offenbarte, angeregt durch die Aufmerksamkeit, die sich im Juni 2009 aus der Thementriangel rund um die Europawahl, die Diskussion um Netzsperren und den Beitritt Jörg Tauss´ generierte, ein enormen Aufmerksamkeitspotential, sodass ihr im Oktober 2009 zurecht der Politik-Award zugesprochen wurde. Zusätzlich handelte es sich jedoch auch um eine Organisation, der es bereits mit unter 1000 Mitgliedern gelungen war, ihre Prozesse rund um Selbstorganisation, Themenerweiterung, medialer Präsenz, Legitimation von Entscheidungen zu optimieren und die von nun an etwa zehnmal so viele Mitglieder haben würde.

Koenig schaffte es am 9. Juli 2009 durch seine geschmeidige, unkritische Präsentation nach nur wenigen Wochen Mitgliedschaft als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt zu werden. Seine Aktivitäten konzentrierten sich von Anfang an auf möglichst aufmerksamkeitsträchtige Aktionen, die dabei wenig arbeitsintensiv waren und sich wenig mit Inhalten beschäftigten. Symptomatisch ist sein “Brief an die Nichtwähler” von September 2009 (PDF). Mit islamkritischen Äußerungen hielt er sich am Anfang noch stark zurück. Er hatte direkt nach seiner Wahl in den Bundesvorstand herbe Kritik für einen ältereren Blogpost mit dem Titel “Ist Geert Wilders rechtsextrem?” geerntet, den er daraufhin umgehend aber ohne inhaltliche Distanzierung löschte. Er versprach auf der Berliner Mailingliste der Piraten, er werde sich “in Zukunft nur noch zu Themen äußern, mit denen ich mich wirklich auskenne”, welches er bis nach der Wahl durchhielt. Danach versuchte er wieder verstärkt, die Piratenpartei mit dem islamkritischen Themen in Verbindung zu bringen. Dabei bemühte er sich, diese über das sehr piratennahe Feld der direkten Demokratie zu legitimieren und so die Ablehnung von Moscheen beim Schweizer Volksentscheid zu rechtfertigen. Nachdem eine neuerliche Flut von Beschwerden jedoch seine völlige Isolation in der Partei zutage trug, beschränkte sich seine Aktivität für die Piraten seit Anfang des Jahres auf die Provokation über seinen Blog und die lediglich formale Inhaberschaft seines Amtes. Kurz vor seiner bevorstehenden Nicht-Wiederwahl im Mai verkündete er seinen Austritt, dessen erhoffte Medienwirksamkeit jedoch völlig ausblieb.

Was Koenig mit der Piratenpartei gänzlich misslieg, hat er wohl nun Stadtkewitz und Doll für deren Neugründung versprochen: Prägnante, medienwirksame Aktionen, die die sensationslüsternen Medien aufgreifen, die die linksalternativen Blätter anprangern können. Der Nachrichtenwert der freitäglichen Pressekonferenz ist bei genauerem Hinschauen zu reduzieren auf “Drei absolute Nobodies verkünden (mal wieder) die Gründung einer Partei ohne Gesichter, ohne Basis und ohne inhaltliche Themen.” Die Präsenz zahlreicher Reporter vor Ort zeigt, dass die Truppe Ahnung vom Ködern hat, aber auch wie sehr sie darauf angewiesen ist, News zu produzieren – gute wie schlechte. Ziel wird es sein, Thilo Sarrazin und darüber auch sich selbst als Opfer des Establishments und sich als Vertreter einer schweigenden Masse und Verfechter der Meinungsfreiheit zu stilisieren, während sie sich dabei über die Skandalisierung ihrer Thesen und Behauptungen echauffieren, die von ihnen jedoch gleichzeitig geradezu herbeigesehnt wird. In Ermangelung einer Parteibasis, mit der zu kommunizieren und vor der sich zu legitimieren unnötig Zeit kosten würde, wird “die Freiheit” eine quasi virtuelle Medienpartei bleiben und unterscheidet sich damit auch grundsätzlich von Organisationen wie Haiders FPÖ in Österreich, die in Kärnten auf eine breite Mitglieder- und Unterstützerzahl blicken konnte. Die Erzeugung von Aufmerksamkeit dient dabei als reiner Selbstzweck und damit als Katalysator und Legitimation für die Medien, der Partei in Zukunft weitere Aufmerksamkeit zu Teil werden zu lassen. Die Medien und andere – vor allem Berliner – Organisationen werden sich gut überlegen müssen, ob sie sich auf dieses Spiel einlassen wollen, bei dem die Gesellschaft aus der momentanen Situation heraus – der Fall Sarrazin zeigt dies allzu deutlich – eigentlich nur an Boden verlieren kann.

Eine kurze Anmerkung: Wer sich ernsthaft mit den integrationspolitischen Positionen von CDU und Piratenpartei auseinandersetzen will, der mag sich am Wahlprogramm der Berliner CDU 2006 (ab Seite 47, PDF) und diesem Vorschlag für das Programm der Berliner Piraten (noch unabgestimmt) orientieren.

Noch eine Anmerkung: Ein Artikel über die Gefahr, die die öffentliche Thematisierung einer populistischen Partei mit sich bringt, mag ein Stirnrunzeln hervorrufen, inklusive der berechtigten Frage, ob dies dann für selbigen Artikel nicht auch gelten müsse. Festzustellen ist aber, dass Twistedexperiment nur ein eher kleiner, medienkritischer Blog mit einer begrenzten Reichweite ist. Wer sich mit der Thematik von rechtspopulistischen Parteien beschäftigen will, mag dies tun und findet hier unter Umständen einen weiteren Denkanstoß. Da es nicht das Ziel ist, Uninteressierte für diese Partei zu interessieren, würde der Autor diesen Text bewusst nicht auf einem größeren Medium publizieren. Daher ist die Creative Commons-Lizenz für diesen Text eingeschränkt: Verbreitung und Vervielfältigung über das Zitierrecht hinaus ist ohne Einwilligung des Autors nicht erwünscht.

Zum Weiterlesen:

Blog.Zeit.de/Stoerungsmelder: Islamgegner unter sich
Spiegelfechter: The Three Stooges


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