Nachdem ich nun also aufgrund einer Kombination von Dummheit und widriger Unmstände nicht in persona an der Anhörung teilnehmen konnte, berichte ich hier noch einmal etwas ausführlicher über meinen Eindruck aus dem Stream der Anhörung und versuche ein Zwischenfazit zu ziehen.
Die Teilnehmerzahl der Abgeordneten war sehr überschaubar. Am Dienstag waren die Reihen wenigstens halb besetzt, am Mittwoch, wo der eigentlich spannende Teil mit Diskussionen zu “NATIONAL PERSPECTIVE AND BEST PRACTICES” und “CIVIL SOCIETY” stattfand, gab es mehrere parallel Veranstaltungen, sodass nur etwa ein Dutzend MEPs im Raum saß, von denen nur 5 aktiv Fragen stellten.
Zu Beginn legten die Berichterstatterinnen des Kultur- und des Frauenausschusses ihre Positionen dar. Der Kulturausschuss, repräsentiert durch Berichterstatterin Petra Kammerevert, lehnt die Sperren ab, der Frauenauschuss steht diesen positiv gegenüber. Maßgeblich wird jedoch das Urteil des Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten (LIBE) sein, da dieser federführend in der Frage ist.
Die Redner waren (wie Christian schon beschrieb) zum größten Teil Sperrbefürworter. Deutlich überrepräsentiert waren dabei Mitglieder von eNASCO, welche nicht nur für Sperren sind, sondern auch noch von der Kommission finanziert werden, was ein besonderes Geschmäckle nach sich zieht.
Wichtig ist festzustellen, dass sich die Argumentation der Sperrbefürworter durchaus weiterentwickelt hat. Mit dem verharmlosenden Argument, man wolle immer nur dann sperren, wenn das löschen nicht möglich ist (z.B. in Ländern, die nicht ausreichend kooperieren), hatte sich Zensursula bereits die Finger verbrannt. Berichterstatterin Angelilli und einige der “NGO-Vertreter” betonten zwar (notwendigerweise) auch die Schwierigkeiten der effektiven internationalen Kooperation, wiesen aber Sperren nicht als Fallback, sondern vor allem als Übergangslösung aus, welche als Brückentechnologie (wem kommt das nun bekannt vor?) den Zeitraum bis zur endgültigen Löschung überwinden solle. Auf den Vorwurf Christian Bahls´ (MOgIS), Sperren seien eine Entschuldigung für Inaktivität und Take-Downs von Phishing-Seiten bräuchten schließlich auch keine Brückentechnologie, antwortete Angelilli nicht.
Ansonsten hörte man oft genug das gute altbekannte “Man muss doch irgendwas tun” und “Für den Schutz der Kinder ist jedes Mittel Recht”. Christian Hoppe ging sogar noch einen Schritt weiter und forderte, dass das Zur Verfügung stellen von Links auf kinderpornographische Seiten unter Strafe gestellt würde (Heise berichtete) und offenbarte damit erneut das krude Verständnis des BKA von der Funktionsweise des Internet.
Hilfreich waren insgesamt die kurz von der Anhörung veröffentlichten Studien der European Financial Coalition zum Mythos Massenmarkt (PDF) und vom AK Zensur vom Mythos der Unmöglichkeit des internationalen Zusammenarbeitens (PDF), die von Sperrgegnern zitiert werden konnten. Gut war auch die Kritik der von der Kommission nicht näher spezifizierten Art des Blockens von Joe McNamee und sein Hinweis, dass das Versprechen der Kommission Overblocking um jeden Preis zu verhindern hinfällig sei, da dies schon jetzt der Realität entspreche.
Zwischenfazit und Empfehlung
1. Medienaufmerksamkeit
Die Berichterstattung war insgesamt gering. Neben einem Bericht bei Heise ist insgesamt nur wenig zu finden. Ich habe im Vorfeld mit mehreren Medien telefoniert, die mir gesagt haben, dass sie keinen Nachrichtenwert in der Anhörung sehen, da dort keine Entscheidung getroffen wurde, was nachvollziehbar ist. Je mehr sich der Entscheidungsprozess dem Ende nähert, wird die Aufmerksamkeit steigen. Mal schauen, ob das dann nicht schon zu spät ist.
2. Abgeordneteneinnordung
Hier muss man sagen, dass dies insgesamt recht gut geklappt hat. Durch die Mobilisierung von Netzpolitik.org und der Tak Force Censilia wussten mindestens die Mitarbeiter der MEPs, dass sich viele Menschen um Netzsperren sorgen und man sich an diesem Thema durchaus verbrennen kann. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, macht doch das Blocken nur einen von 16 Gründen (Grund 13, Seite 13) und einen von 26 Artikeln (Artikel 21, Seite 27) der Richtlinie aus. Die Gefahr, dass die Sperren einfach so unbeobachtet durchgehen, ist also schon mal gebannt. Dementsprechend wurden die Netzsperren auf der Anhörung sogar zum mit Abstand meistdiskutierten Thema.
3. Kräfteverhältnisse
Leider sprechen die Kräfteverhältnisse nicht unbedingt für uns, da die Konservativen die größte Fraktion im Parlament und damit auch in den Ausschüssen darstellen. Wichtig sind die Entscheidungen der Liberalen (ALDE) und der Sozialdemokraten (S&D). Auf diese muss man eine Anstrengungen der nächsten Zeit konzentrieren.
4. Fahrplan
Ich denke, es ist wichtig, die nächsten Tage aktiv zu bleiben, damit die Abgeordneten nicht davon ausgehen können, dass das Interesse nur während der Anhörung hoch war. Ruft an und fragt sie, ob sie sich schon ein Urteil gebildet haben. Sammelt die Antworten, zum Beispiel hier. Falls sie Sperren in Erwägung ziehen, versucht einen Gesprächstermin zu bekommen oder vermittelt Christian oder Joe einen Termin. Falls ihr einen von der S&D oder ALDE erwischt, die gegen Sperren sind, dann fragt nach, welche ihrer Kollegen noch “Gesprächsbedarf” haben. Alle eure Abgeordneten sind eure potentiellen Verbündeten. Macht sie dazu! Ruft eure regionalen Abgeordneten zuerst an. In Deutschland wählt ihr nicht die finnischen, in Finnland nicht die schwedischen Abgeordneten, das wissen sie auch.
Im Oktober wird der Richtlinienvorschlag im Rat vorgestellt. Danach wird diskutiert und ein Vorschlag durch die Ausschüsse ausgearbeitet, der dem Parlament vorgelegt werden soll. Meine Empfehlung wäre, irgendwann vor dem nächsten Schritt eine Aktion zu starten. Diese sollte wieder konzertiert sein, aber auch auf den Punkt und präzise formuliert. Die MEPs haben bereits viele Mails bekommen, mehr wird sie nicht beeindrucken.