Problematisch – Max Stadlers Beitrag zu Internetsperren im Grundrechtereport

Der Grundrechtereport ist der jährlich erscheinende, sehr löbliche Versuch der Humanistischen Union und verwandter Gruppen, Grund- und Bürgerrechte wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen zu tragen und die gesellschaftlichen Diskussionsprozesse der letzten 12 Monate in einem wissenschaftlichen Werk zu bündeln und verschriftlichen. Auch dieses Jahr ist der kürzlich erschienene Band wieder extrem lesenswert mit Beiträgen zu ELENA, SWIFT, Residenzpflicht, Sterbehilfe, dem Fall Koch vs. Brender und weiteren heißen Themen. Die Autoren sind zu großen Teilen Experten des jeweiligen Themas bzw. der Aktivisten- und Bürgerrechtsszene zuzuordnen mit bekannten Namen wie Rolf Gössner, Thilo Weichert und Till Müller-Heidelberg.

Bei der Lektüre des Inhaltsverzeichnisses lässt jedoch ein Name Stirnrunzeln zurück. Der Beitrag zu Netzsperren mit dem Titel “Vertrauensverlust durch Internetsperren” stammt von Max Stadler, seines Zeichens Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Nun ist es natürlich durchaus möglich, aktive Mitglieder der Bundesregierung Beiträge verfassen zu lassen, gerade da sie ja vielleicht besonderes Insiderwissen aufweisen und teilen möchten oder die Sicht auf eine neue interessante Perspektive ermöglichen. Unter Umständen ist dies sogar strategisch sinnvoll, da man so regierungsnahe Autoren behutsam an die Bürgerrechtsszene heranführen kann oder diese zurVerschriftlichung bestimmter mündlich getätigter Aussagen bewegen kann. Nur ist dies in diesem Falle beides unzutreffend. Weder glänzt Stadler mit etwas Neuem oder Vertraulichen im Text, noch lässt er sich dazu hinreißen, irgendetwas Verbindliches zu Papier zu bringen.

Stadler, damals noch einfacher Abgeordneter, fiel schon während der Diskussion zum Gesetz im Bundestag am 18.06.2009 nicht besonders positiv auf. In seiner Rede für die FDP-Fraktion rückte er die Verfahrensweise des Zustandekommens des Gesetzes in den Mittelpunkt und weniger die hohe Missbrauchsgefahr durch zukünftige Bundesregierungen und deren Beamte. Zwar glänzte seine Fraktion durch die höchste Anwesenheits- und Ablehnungsquote unter den Oppositionsparteien; doch wieso ausgerechnet die FDP, die das Vefahren ja – nach ihm – sehr kritisch beäugt, eine Unterstützung der von Jörg Tauss deswegen eingereichten Organklage verweigerte, bleibt auch weiterhin unklar. Am 22. Februar 2010 tritt Stadler dann wieder in Erscheinung: Mittlerweile Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und Mitglied der Regierungskoalition, nimmt er für die diese an der Sitzung des Petitionsausschusses teil, auf der Franziska Heine nun endlich – nach fast einem Jahr Wartezeit – eine Chance hat, ihre von 134.000 unterstützte Petition mündlich vorzutragen.

Stadler glänzt auf der Veranstaltung neben Anwesenheit vor allem durch Unverbindlichkeit. Ja, das Verfahren sei ausgesetzt. Nein das Gesetz werde nicht abgeschafft. Doch, es werde bald ersetzt durch ein neues, ein sogenanntes “Löschgesetz”. Auf die Verabschiedung dieses ominösen Gesetzes, das verbieten soll, was schon verboten ist, wartet die Internetgemeinde noch heute. Leider geht Stadler in seinem Artikel auch auf dieses Mysterium mit keinem Nebensatz ein. Seine Chefin, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, muss sich derweil weiterhin wehren gegen die plumben Versuche des BKA, mit Hilfe selbst erstellter Statistiken, die Unmöglichkeit des Löschansatzes zu beweisen.

Doch der Artikel selbst lässt auch auf der Faktenebene einiges zu wünschen übrig. So schreibt Stadler über die Reaktionen auf die 2009 erfolgte Verabschiedung des Gesetzes:

“Ablauf und Inhalt waren schließlich so missglückt, dass junge Leute Anlass zur Gründung einer neuen Partei – der Piratenpartei – sahen.”

Es ist sympathisch, dass Stadler Kenntnis zwischen dem engen Zusammenhang der Zensurdiskussion und dem deutlichen Erstarken der netzaffinen Piratenpartei zeigt. Trotzdem könnte auch das Wissen (oder kurzes Googeln) darüber nicht schaden, dass sich die Partei nicht erst 2009, sondern bereits 2006 im Nachklang zur europaweiten Kontroverse um Softwarepatente gegründet hatte. So wenig relevant dies auch konkret ist, umso schwerwiegender ist da schon der folgende Abschnitt:

“Dies [der von FDP und Union im Koalitionsvertrag ausgehandelte Kompromiss über Aussetzung des Gesetzes und Überprüfung nach einem Jahr, Anm. des Verf.] bedeutet auch, dass die gesamte als “Zensurinfrakstruktur” empfundene Vorgehensweise des Bundeskriminalamtes mit den ursprünglich vorgesehenen Sperrlisten nicht realisiert wird.”

Nun ist diese Behauptung für den Bürger schwer nachprüfbar, aber gemäß dem was aus BKA und Regierungskreisen so nach außen dringt, vermutlich mindestens irreführend. Viel wahrscheinlicher ist wohl, dass die gesamte “Zensurinfrastruktur” in der Tat eingerichtet wurde und wird, dass nur der letzte Schritt – das Übersenden von Listen zu sperrender Webseiten durch das BKA an die Internet-Provider – nicht stattfindet, solange das Gesetz nicht endgültig in Kraft tritt. Das klingt gleich viel weniger sicher.

Nun verfasst Stadler keinen weiteren Beitrag des aktuellen Grundrechtereports, auch Mitherausgeber des Bandes ist er nicht. Daher muss in Anbetracht von Misskenntnis, Fehldarstellung und der prominenten Gelegenheit, die eigene Partei auf Kosten der großen Koalition in den Himmel zu loben die Frage erlaubt sein, inwiefern er der geeinete Kandidat für den Artikel war. Gibt es doch gerade für dieses wichtige und vieldiskutierte Thema zahlreiche potentielle Autoren. Bei kurzer Anfrage, wenn auch nur per Microblogging, hätten sich sicherlich in kürzester Zeit Dutzende qualifizierte Schreiber gemeldet, die der Redaktion statt seiner unter die Arme gegriffen hätten. Franziska Heine, Alvar Freude oder Christian Bahls, um nur drei der bekannteren Aktivisten gegen Netzsperren zu nennen, hätten sicherlich mit Freude einen Beitrag zur Aufbereitung der letztjährigen Diskussion und zum Stand der Dinge beigetragen. So ist stattdessen eine Chance vertan, einen wirklich informativen dabei aber ausgeglichenen Artikel zu dem Thema zu publizieren.


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