Zur Antragsreihenfolge in Chemnitz

Ahoi stimmberechtigte Piraten!

Wie stimmt man ab in Chemnitz? Das beschäftigt die Republik. In keiner anderen Partei in Deutschland hat man als Mitglied so viel Stimmrecht und -gewalt. Das bringt auch Ärger und Arbeit mit sich. Vor allem die Anträge sind ein riesiger Wust. Die Antragskommission hat sich große Mühe gegeben, diese zu sichten und aufzubereiten. Der Rest liegt an Euch.

Zur Orientierung und für zusätzlichen Input zu den einzelnen Anträgen empfehle ich ein Spreadsheet, in dem sich eine Gruppe Berliner Piraten, die sich die Mühe gemacht hat, den Großteil der Anträge noch einmal durchzugehen, ihre Ergebnisse und Empfehlungen notiert hat. Inwiefern man diesen dann zustimmt, hängt natürlich größtenteils davon ab, inwiefern die eigenen Kritierien mit denen der Gruppe übereinstimmt. Eigenes, kritisches Denken kann dies nicht ersetzen.

Fast noch wichtiger ist aber die Frage, WANN man über WELCHE Anträge abstimmt. Und auch darüber habt IHR die Stimmgewalt. Dafür wurden 22 verschiedene Antragsgruppen erstellt. Am Samstag werden wir im Schulze Alex-Müller-Verfahren Stimmen vergeben an die Anträge, die wir als erstes abstimmen wollen. Die vergebenen Stimmen bestimmen dann die Reihenfolge, in der die Antragsgruppenabgestimmt werden. Die Crew Prometheus hat sich heute abend getroffen und über die Reihenfolge diskutiert. In der Folge schreibe ich meine persönlichen Ergebnisse des heutigen Abends mit Empfehlungen auf. Das Durchleuchten der Anträge und ihrer Übersicht basierte aufVersion 2 dieses Dokuments (PDF), welches die Antragskommission als Übersicht zusammengestellt hat.

Die Fragen und damit meine Prämissen waren:
– Gibt es in diesem Bereich auch Grundsatzuprogrammanträge (GP) oder nur Wahlprogrammanträge (WP) und Positionspapiere (PP)?
– Falls ja, sind diese zu einem neuen Themenbereich? Ich halte es im Rahmen der moderaten Erweiterung für wichtig, noch dieses Jahr neue Bereiche mit aufzunehmen.
– Wie viele Anträge (miteinander konkurriende Anträge wurden als eines gezählt, da diese unter Umständen nicht länger dauern als einzelne)  gibt es der Gruppe? Zu viele würde uns daran hindern, uns neuen Bereichen zuzuwenden.
– Wie intensiv wurde dazu schon diskutiert (Liquid/Antragsfabrik)? Dann wird die Diskussion voraussichtlich schneller gehen.
– Basiert dieser Bereich evtl. auf einem anderen Bereich? (Bsp.: Pazifismus und Militär hängt von stark davon ab, ob vorher schon Außenpolitik behandelt wurde.)

Ein “+” bedeutet, dass man dafür stimmen sollte, dass dieser Antragsbereich möglichst früh behandelt wird. Ein “-” bedeutet möglichst spät. “+/-” ist unentschieden.

Außenpolitik: – GP WP 9 Empfehle das Thema zu verschieben, da es vermutlich eine lange Diskussion um das Grundsatzprogramm geben wird und andere Themen wichtiger sind

BGE: + GP PP 3 Egal ob dafür oder dagegen sollte das Thema früh und intensiv behandelt werden.

Bildung: – GP WP PP 38 Ans Ende ziehen, da GP bereits existiert

Datenschutz: – WP 4 Themenbereich existiert schon.

Demokratie: +/- GP WP 7 Eigentlich wichtige Themen, zu denen wir aber oft schon Position beziehen.

Drogen: + GP WP 3 Neuer Bereich, geht voraussichtlich recht schnell

Einwanderung, Asyl, Integration: + GP PP 3 s.o.

Familie & Gender & Jugendschutz: + GP WP PP 16 Sehr umfangreich, aber wichtig. Vieles war schon in der Antragsfabrik Konsens (insofern wenig Beratungsbedarf) und wurde dann in Bingen verschoben.

Finanzen: – GP WP 2 Eher verschieben; es wäre sehr ungünstig, nur eine Forderung in einem eigenen Bereich Finanzpolitik zu haben.

Gesundheit: – GP WP 6 Entbehrlich…

Infrastruktur und Verkehr: +/- GP WP PP 5 Das sehr positiv beschiedene Grundsatzprogramm Bauen und Verkehr wäre sicher eine sinnvolle Bereicherung, allerdings sind andere Themen evtl. noch wichtiger.

Inneres: +/- 16 Im Bereich Inneres sind viele gute Anträge, wird aber sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Da wir in diesem Bereich schon Positionen haben, sollte es wohl nach den neueren und schmaleren Bereichen besprochen werden.

Internet und Medien: + GP WP PP 14 Zwar viele Themen, aber die meisten sind wohl hochgradig konsensfähig.

Parteiinternes: — GP WP PP (Viele) Bitte ablehnen, sonst schaffen wir nichts anderes…

Pazifismus und Militär: – WP PP Siehe Außenpolitik

Programmdebatte: +/- Ist sehr wichtig. Sollten wir aber am besten am Sonntag abstimmen, evtl. kann einige der Entscheidungen auch der Vorstand treffen.

Satzung: – Entfällt.

Staat und Religion: + GP WP 4 Das sollte man schnell durchstimmen können.

Staatsorga: – GP WP 3 Der Bereich wäre sicher schnell abstimmbar, ist aber nicht so elementar.

Transparenz und Korruptionsbekämpfung: +/- GP WP 22 Bewertung ist schwierig, da man die Anträge auch ganz anderen Bereichen zuordnen könnte.

Umwelt und Energie: +/- GP WP PP 17 Besser weiter nach unten wählen. Es ist ein dicker Klops, der sehr lange dauern wird und es gibt wichtigeres.

Urheberrecht: – GP WP PP 7 Das Urheberrecht ist im Programm schon sinnvoll ausgestaltet. Andere Themen sind wichtiger.

Werte und Menschenbild: – GP Das Menschenbild ins Grundsatzprogramm zu schreiben, beschwört viele Probleme herauf. Wir können darauf festgenagelt werden und engen uns ein. Zudem würde dieser Punkt voraussichtlich sehr lange dauern.

Wirtschaft und Soziales: +/- GP WP PP 29 Siehe Umwelt und Energie

Das wars. Das Ganze ist natürlich recht subjektiv und hängt davon ab, ob man meine Prämisse, die behutsame Themenerweiterung sei momentan der beste Weg für die Partei, auch teilt. Auch den anderen ist ja vielleicht mit der Übersicht, welche Anträge in welchem Bereich vorkommen und wie viele Anträge es gibt, ein wenig geholfen.

Fazit: Von der Reihenfolge hängt vieles ab. In welcher Antragsgruppe ein Antrag steht, auch. Wenn ein Antrag alleine steht, hat er sicher gute Chancen schnell vorweg behandelt zu werden. Steht er in einem komplexen Themenbereich, zu dem sich vielleicht die Mehrheit der Piraten noch nicht äußern will, sieht es für den gleichen Antrag schlecht aus. Die Zuteilung der Themengruppen ist aber fragwürdig, bisweilen willkürlich wirkend. Warum ein NATO-Positionspapier nicht zu Außenpolitik gehört und BGE nicht zu Sozialpolitik, das Lobbyregister von Politikerkarenzzeiten getrennt ist, erschließt sich nicht. Leider wird wohl vor Ort kaum noch die Zeit finden, eine komplett neue Zuordnung festzulegen. Trotzdem möge die Antragskommission dies nicht als Kritik an ihrer Arbeit, sondern am System an sich verstehen. Viel Spaß beim Abstimmen!

Ach ja: Bitte flattrt diesen Beitrag, da ich bis nach 21.00 Uhr aufbleiben musste, um ihn zu schreiben. Wenn er mehr als 5 Euro einbringt gebe ich davon für die Crew Prometheus + Gäste eine Runde aus.  Wenn es mehr als 10 Euro sind, denke ich auch noch an die Antragskommission.

Flattr this

2 Comments

Zusammenfassung der Anhörung

Nachdem ich nun also aufgrund einer Kombination von Dummheit und widriger Unmstände nicht in persona an der Anhörung teilnehmen konnte, berichte ich hier noch einmal etwas ausführlicher über meinen Eindruck aus dem Stream der Anhörung und versuche ein Zwischenfazit zu ziehen.

Die Teilnehmerzahl der Abgeordneten war sehr überschaubar. Am Dienstag waren die Reihen wenigstens halb besetzt, am Mittwoch, wo der eigentlich spannende Teil mit Diskussionen zu “NATIONAL PERSPECTIVE AND BEST PRACTICES” und “CIVIL SOCIETY” stattfand, gab es mehrere parallel Veranstaltungen, sodass nur etwa ein Dutzend MEPs im Raum saß, von denen nur 5 aktiv Fragen stellten.

Zu Beginn legten die Berichterstatterinnen des Kultur- und des Frauenausschusses ihre Positionen dar. Der Kulturausschuss, repräsentiert durch Berichterstatterin Petra Kammerevert, lehnt die Sperren ab, der Frauenauschuss steht diesen positiv gegenüber. Maßgeblich wird jedoch das Urteil des Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten (LIBE) sein, da dieser federführend in der Frage ist.

Die Redner waren (wie Christian schon beschrieb) zum größten Teil Sperrbefürworter. Deutlich überrepräsentiert waren dabei Mitglieder von eNASCO, welche nicht nur für Sperren sind, sondern auch noch von der Kommission finanziert werden, was ein besonderes Geschmäckle nach sich zieht.

Wichtig ist festzustellen, dass sich die Argumentation der Sperrbefürworter durchaus weiterentwickelt hat. Mit dem verharmlosenden Argument, man wolle immer nur dann sperren, wenn das löschen nicht möglich ist (z.B. in Ländern, die nicht ausreichend kooperieren), hatte sich Zensursula bereits die Finger verbrannt. Berichterstatterin Angelilli und einige der “NGO-Vertreter” betonten zwar (notwendigerweise) auch die Schwierigkeiten der effektiven internationalen Kooperation, wiesen aber Sperren nicht als Fallback, sondern vor allem als Übergangslösung aus, welche als Brückentechnologie (wem kommt das nun bekannt vor?) den Zeitraum bis zur endgültigen Löschung überwinden solle. Auf den Vorwurf Christian Bahls´ (MOgIS), Sperren seien eine Entschuldigung für Inaktivität und Take-Downs von Phishing-Seiten bräuchten schließlich auch keine Brückentechnologie, antwortete Angelilli nicht.

Ansonsten hörte man oft genug das gute altbekannte “Man muss doch irgendwas tun” und “Für den Schutz der Kinder ist jedes Mittel Recht”. Christian Hoppe ging sogar noch einen Schritt weiter und forderte, dass das Zur Verfügung stellen von Links auf kinderpornographische Seiten unter Strafe gestellt würde (Heise berichtete) und offenbarte damit erneut das krude Verständnis des BKA von der Funktionsweise des Internet.
Hilfreich waren insgesamt die kurz von der Anhörung veröffentlichten Studien der European Financial Coalition zum Mythos Massenmarkt (PDF) und vom AK Zensur vom Mythos der Unmöglichkeit des internationalen Zusammenarbeitens (PDF), die von Sperrgegnern zitiert werden konnten. Gut war auch die Kritik der von der Kommission nicht näher spezifizierten Art des Blockens von Joe McNamee und sein Hinweis, dass das Versprechen der Kommission Overblocking um jeden Preis zu verhindern hinfällig sei, da dies schon jetzt der Realität entspreche.

Zwischenfazit und Empfehlung
1.  Medienaufmerksamkeit
Die Berichterstattung war insgesamt gering. Neben einem Bericht bei Heise ist insgesamt nur wenig zu finden. Ich habe im Vorfeld mit mehreren Medien telefoniert, die mir gesagt haben, dass sie keinen Nachrichtenwert in der Anhörung sehen, da dort keine Entscheidung getroffen wurde, was nachvollziehbar ist. Je mehr sich der Entscheidungsprozess dem Ende nähert, wird die Aufmerksamkeit steigen. Mal schauen, ob das dann nicht schon zu spät ist.

2. Abgeordneteneinnordung
Hier muss man sagen, dass dies insgesamt recht gut geklappt hat. Durch die Mobilisierung von Netzpolitik.org und der Tak Force Censilia wussten mindestens die Mitarbeiter der MEPs, dass sich viele Menschen um Netzsperren sorgen und man sich an diesem Thema durchaus verbrennen kann. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, macht doch das Blocken nur einen von 16 Gründen (Grund 13, Seite 13) und einen von 26 Artikeln (Artikel 21, Seite 27) der Richtlinie aus. Die Gefahr, dass die Sperren einfach so unbeobachtet durchgehen, ist also schon mal gebannt. Dementsprechend wurden die Netzsperren auf der Anhörung sogar zum mit Abstand meistdiskutierten Thema.

3. Kräfteverhältnisse
Leider sprechen die Kräfteverhältnisse nicht unbedingt für uns, da die Konservativen die größte Fraktion im Parlament und damit auch in den Ausschüssen darstellen. Wichtig sind die Entscheidungen der Liberalen (ALDE) und der Sozialdemokraten (S&D). Auf diese muss man eine Anstrengungen der nächsten Zeit konzentrieren.

4. Fahrplan
Ich denke, es ist wichtig, die nächsten Tage aktiv zu bleiben, damit die Abgeordneten nicht davon ausgehen können, dass das Interesse nur während der Anhörung hoch war.  Ruft an und fragt sie, ob sie sich schon ein Urteil gebildet haben. Sammelt die Antworten, zum Beispiel hier. Falls sie Sperren in Erwägung ziehen, versucht einen Gesprächstermin zu bekommen oder vermittelt Christian oder Joe einen Termin. Falls ihr einen von der S&D oder ALDE erwischt, die gegen Sperren sind, dann fragt nach, welche ihrer Kollegen noch “Gesprächsbedarf” haben. Alle eure Abgeordneten sind eure potentiellen Verbündeten. Macht sie dazu! Ruft eure regionalen Abgeordneten zuerst an. In Deutschland wählt ihr nicht die finnischen, in Finnland nicht die schwedischen Abgeordneten, das wissen sie auch.
Im Oktober wird der Richtlinienvorschlag im Rat vorgestellt. Danach wird diskutiert und ein Vorschlag durch die Ausschüsse ausgearbeitet, der dem Parlament vorgelegt werden soll. Meine Empfehlung wäre, irgendwann vor dem nächsten Schritt eine Aktion zu starten. Diese sollte wieder konzertiert sein, aber auch auf den Punkt und präzise formuliert. Die MEPs haben bereits viele Mails bekommen, mehr wird sie nicht beeindrucken.

0 Comments

Streik!

Am Brüsseler Flughafen streiken bis morgen um 14.00 Uhr die Fluglotsen. Die Reise fällt daher aus 🙁

0 Comments

Live Broadcast der Anhörung zu den Netzsperren

Der heutige Teil der Anhörung ist von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr unter diesem Link zu verfolgen:

http://www.europarl.europa.eu/wps-europarl-internet/frd/live/live-video?eventId=20100928-1500-COMMITTEE-LIBE&language=en

0 Comments

Erste Rückschläge für Netzsperrengegner

Netzsperren sind eine üble Sache. Ein ebenso unterschätztes Problem ist die Flugsperre. Diese bekommt man, wenn man ohne Ausweis versucht, das Flugzeug zu boarden. Als alter Flughase und Meilensammler bin ich es eigentlich gewohnt, früh aufzustehen und an alles Notwendige zu denken. Nachdem ich heute noch fünfmal meine Zahnbürste gecheckt hatte, überlegte ich sogar noch, meinen Reisepass mitzunehmen. Unnötig natürlich, da auf innereuropäischen Flügen der Personalausweis ausreicht, welchen ich stets bei mir trage. Leider befand sich der Ausweis heute morgen nicht im Portmoinee, weswegen ich den Flug nach Brüssel um 7.00 Uhr in Schönefeld nicht nehmen konnte. Mein Perso ist immer noch nicht wieder aufgetaucht und muss daher wohl als verloren gemeldet werden. wurde mittlerweile gefunden. Er befand sich unter den Utensilien, mit denen ich am Bremer Marathon teilnahm. Da soll noch einer sagen, Sport macht mobil.

Nach zähen Verhandlungen (klingt irgendwie besser als “Standardprozedur”) konnte ich jedoch für € 52,- noch einen Flug für heute abend 19.45 bekommen, sodass ich gegen 21.00 Uhr in Brüsel ankomme werde. Wie Christian hier schon geschrieben hat, ist der morgige Anhörungstag der eigentlich wichtige. Und Zeit für Gespräche findet sich morgen auch noch zwischen 12 und 18 Uhr. Ich kann die Zeit heute noch dazu nutzen, Termine für morgen zu vereinbaren und Last Minute Infos an die MEPs zu geben.

Besonders positiv ist in diesem Zusammenhang, dass die European Finanicial Commission jüngst eine Studie veröffentlichte (PDF), der dem vielbeschworenen Massenmarkt mit Kinderpornografie im Internet – einem der Kernsargumente von der Leyens – den Gar aus machen wird. Heise hat dies in langer Version beschrieben. Wer jedoch glaubt, dass dies schon ausreichen wird, um den Kampf zu gewinnen, liegt jedoch schief. Die besseren Argumente zu haben, ist noch kein Grund am Ende auch zu obsiegen. Aber es hilft zumindest, dazu eine aktuelle Studie vorlegen zu können.

0 Comments

Morgen nach Brüssel

Nachdem der Bundesvorstand letzte Woche entschieden hat, dass es sinnvoll ist, einen Piraten zur Anhörung nach Brüssel zu schicken, werde ich also den Flieger morgen früh um 7 Uhr nehmen. Um 8.30 komme ich in Brüssel an und fahre dann direkt ins Parlament, die Anhörung zur Kinderschutz-Direktive der Kommission beginnt um 15 Uhr. Warum die Chancen für die Gegner der Netzsperren momentan nicht sooo gut aussehen, hat Christian schon bei MOGiS ganz gut beschrieben. Julia, Fasel und die anderen von der Taskforce “Censilia” haben die Sache ganz gut vorbereitet, indem sie dazu aufriefen, die Abgeordneten mit freundlichen Aufklärungsanrufen und-mails zu behelligen, damit diese schon mal wissen, dass es in Deutschland noch immer viele gibt, denen das freie Internet doch sehr am Herzen liegt.

Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass die deutschen Piraten und anderen Netzinteressierten möglichst gut informiert sind und umfangreiche Möglichkeiten haben, sich einzubringen. Mein Terminkalender in Brüssel, die Adressen und Reaktionen der zu kontaktierenden Abgeordneten finden sich hier.  Ich werde versuchen, möglichst viel zu twittern, bloggen usw. Und während der Anhörung wollen wir einen Live-Chat einrichten, in den man Fragen einbringen kann. Diese werden aber voraussichtlich nicht von uns gestellt werden, da die Zeit in der Anhörung derart knapp bemessen ist, dass voraussichtlich nur die Abgeordneten Fragen stellen dürfen. Wir werden also versuchen, die uns wohlgesonnenen MEPs mit ins Boot, bzw. in den Chat zu holen. Näheres dazu gibt es morgen hier. Bei Fragen nutzt die Kommentare oder eine der zahlreichen hier beschriebenen Kontaktmöglichkeiten.

Fabio Reinhardt

1 Comment

Rechtspopulismus: Aufmerksamkeit als Selbstzweck

Am vergangenen Freitag führte die Ankündigung der Neugründung einer berlinweiten Partei zu zahlreichen Nachrichten-Artikeln. Das mittlerweile fraktionslose Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses René Stadtkewitz lud zur Pressekonferenz, auf der er die Gründung der Partei “Die Freiheit” zu Ende des Jahres verkündigte. Stadtkewitz war zuvor vor allem durch die Einladung des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders nach Berlin aufgefallen, wegen der er letztendlich auch aus der Berliner CDU-Fraktion und -Partei ausgeschlossen wurde. Bei der Konferenz anwesend waren auch “Mitgründer” Marc Doll (Austrittserklärung) und Stefan “Aaron” Koenig, der von Juli 2009 bis Mai 2010 Beisitzer im Bundesvorstand der Piratenpartei war. Wie zu erwarten bietet die Gruppe über ihre Moscheekritik hinaus inhaltlich kaum Angriffsfläche und präsentierte auch am Freitag außer Floskeln nichts handfestes.

Wie sind also die Chancen des Ex-CDU-Hinterbänklers, des Ex-Nicht-Politikers / Ex-Journalisten (Koenig) und des Ex-Karrieristen einzuschätzen? Eigentlich wäre dies eine klar negativ zu beantwortende Fragestellung, gäbe es da nicht ein gewisses Mitglied einer ganz anderen Partei, das in den letzten drei Wochen die durch das Sommerloch gebeutelten Journalisten gesund pflegte. Seit dem Erscheinen der ersten Zitate aus Sarrazins Buch Ende August zeigen uns bekannte Medien wie Bild und Spiegel in vorbildhafter Manier, wie man ein eigentlich irrelavantes, mittelmäßig recherchiertes und mittelmäßig geschriebenes Buch mit vermeintlich kritischer Berichterstattung zum Tagesgespräch machen kann. TV-Runden (Kerner, Beckmann, Will) nahmen sich dies dann auch gleich brav zum Vorbild. (Mehr dazu hier und danke dafür an Robin Meyer-Lucht)

Zusammen mit der Tatsache, dass seit mindestens Juni die Zahl von ca. 20 % Wähler an, die eine Partei rechts der CDU wählen würde, in den Medien jongliert wird, war es natürlich ebenso folgerichtig wie clever, zu einem Zeitpunkt wo der Hype um Sarrazins “Thesen” abebbte oder durch konstruktive Beiträge ersetzt wurde, noch schnell eine Pressekonferenz abzuhalten, auf der verkündet wird, was in den Medien bereits diskutiert wird, nämlich die Gründung einer neuen rechtskonservativen Kraft. Dass die befürchtete/erhoffte Beteiligung bekannter Gesichter wie Sarrazin, Clement oder Merz entfiel, dass es mit Pro Berlin bereits eine rechtspopulistiche Partei gibt, und dass die Ankündigung der Gründung bereits zum zweiten Mal erfolgte (nach der im Mai auf dem Blog Koenigs), hielt die Medien nicht von ihrer förmlichen und langweiligen Berichterstattung über das Event ab.

Nun wurde zwar schon an vielen Stellen über die Zahl der Menschen geschrieben, die bereit wären, eine Partei dieser Art zu wählen, kaum jedoch über die Zahl derer, die bereit wären, diese mit ihrer Arbeit und Aktivität zu unterstützen. Dass diese äußerst gering wäre, ist wahscheinlich. Zu einem Mangel an charismatischen Führungsfiguren, Denkern und Themen gesellt sich ein Überangebot an rechtspopulistischen/-konservativen/-extremen Parteien in Berlin und Deutschland. Das einzige, was dieser Gruppe Leben einhaucht, ist damit ihre Präsenz in den Medien. Um dies zu veranschaulichen, ist es sinnvoll, einen Blick auf Stefan “Aaron” Koenigs kurze, aber erhellende Karriere in der Piratenpartei zu werfen.

Die Piratenpartei offenbarte, angeregt durch die Aufmerksamkeit, die sich im Juni 2009 aus der Thementriangel rund um die Europawahl, die Diskussion um Netzsperren und den Beitritt Jörg Tauss´ generierte, ein enormen Aufmerksamkeitspotential, sodass ihr im Oktober 2009 zurecht der Politik-Award zugesprochen wurde. Zusätzlich handelte es sich jedoch auch um eine Organisation, der es bereits mit unter 1000 Mitgliedern gelungen war, ihre Prozesse rund um Selbstorganisation, Themenerweiterung, medialer Präsenz, Legitimation von Entscheidungen zu optimieren und die von nun an etwa zehnmal so viele Mitglieder haben würde.

Koenig schaffte es am 9. Juli 2009 durch seine geschmeidige, unkritische Präsentation nach nur wenigen Wochen Mitgliedschaft als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt zu werden. Seine Aktivitäten konzentrierten sich von Anfang an auf möglichst aufmerksamkeitsträchtige Aktionen, die dabei wenig arbeitsintensiv waren und sich wenig mit Inhalten beschäftigten. Symptomatisch ist sein “Brief an die Nichtwähler” von September 2009 (PDF). Mit islamkritischen Äußerungen hielt er sich am Anfang noch stark zurück. Er hatte direkt nach seiner Wahl in den Bundesvorstand herbe Kritik für einen ältereren Blogpost mit dem Titel “Ist Geert Wilders rechtsextrem?” geerntet, den er daraufhin umgehend aber ohne inhaltliche Distanzierung löschte. Er versprach auf der Berliner Mailingliste der Piraten, er werde sich “in Zukunft nur noch zu Themen äußern, mit denen ich mich wirklich auskenne”, welches er bis nach der Wahl durchhielt. Danach versuchte er wieder verstärkt, die Piratenpartei mit dem islamkritischen Themen in Verbindung zu bringen. Dabei bemühte er sich, diese über das sehr piratennahe Feld der direkten Demokratie zu legitimieren und so die Ablehnung von Moscheen beim Schweizer Volksentscheid zu rechtfertigen. Nachdem eine neuerliche Flut von Beschwerden jedoch seine völlige Isolation in der Partei zutage trug, beschränkte sich seine Aktivität für die Piraten seit Anfang des Jahres auf die Provokation über seinen Blog und die lediglich formale Inhaberschaft seines Amtes. Kurz vor seiner bevorstehenden Nicht-Wiederwahl im Mai verkündete er seinen Austritt, dessen erhoffte Medienwirksamkeit jedoch völlig ausblieb.

Was Koenig mit der Piratenpartei gänzlich misslieg, hat er wohl nun Stadtkewitz und Doll für deren Neugründung versprochen: Prägnante, medienwirksame Aktionen, die die sensationslüsternen Medien aufgreifen, die die linksalternativen Blätter anprangern können. Der Nachrichtenwert der freitäglichen Pressekonferenz ist bei genauerem Hinschauen zu reduzieren auf “Drei absolute Nobodies verkünden (mal wieder) die Gründung einer Partei ohne Gesichter, ohne Basis und ohne inhaltliche Themen.” Die Präsenz zahlreicher Reporter vor Ort zeigt, dass die Truppe Ahnung vom Ködern hat, aber auch wie sehr sie darauf angewiesen ist, News zu produzieren – gute wie schlechte. Ziel wird es sein, Thilo Sarrazin und darüber auch sich selbst als Opfer des Establishments und sich als Vertreter einer schweigenden Masse und Verfechter der Meinungsfreiheit zu stilisieren, während sie sich dabei über die Skandalisierung ihrer Thesen und Behauptungen echauffieren, die von ihnen jedoch gleichzeitig geradezu herbeigesehnt wird. In Ermangelung einer Parteibasis, mit der zu kommunizieren und vor der sich zu legitimieren unnötig Zeit kosten würde, wird “die Freiheit” eine quasi virtuelle Medienpartei bleiben und unterscheidet sich damit auch grundsätzlich von Organisationen wie Haiders FPÖ in Österreich, die in Kärnten auf eine breite Mitglieder- und Unterstützerzahl blicken konnte. Die Erzeugung von Aufmerksamkeit dient dabei als reiner Selbstzweck und damit als Katalysator und Legitimation für die Medien, der Partei in Zukunft weitere Aufmerksamkeit zu Teil werden zu lassen. Die Medien und andere – vor allem Berliner – Organisationen werden sich gut überlegen müssen, ob sie sich auf dieses Spiel einlassen wollen, bei dem die Gesellschaft aus der momentanen Situation heraus – der Fall Sarrazin zeigt dies allzu deutlich – eigentlich nur an Boden verlieren kann.

Eine kurze Anmerkung: Wer sich ernsthaft mit den integrationspolitischen Positionen von CDU und Piratenpartei auseinandersetzen will, der mag sich am Wahlprogramm der Berliner CDU 2006 (ab Seite 47, PDF) und diesem Vorschlag für das Programm der Berliner Piraten (noch unabgestimmt) orientieren.

Noch eine Anmerkung: Ein Artikel über die Gefahr, die die öffentliche Thematisierung einer populistischen Partei mit sich bringt, mag ein Stirnrunzeln hervorrufen, inklusive der berechtigten Frage, ob dies dann für selbigen Artikel nicht auch gelten müsse. Festzustellen ist aber, dass Twistedexperiment nur ein eher kleiner, medienkritischer Blog mit einer begrenzten Reichweite ist. Wer sich mit der Thematik von rechtspopulistischen Parteien beschäftigen will, mag dies tun und findet hier unter Umständen einen weiteren Denkanstoß. Da es nicht das Ziel ist, Uninteressierte für diese Partei zu interessieren, würde der Autor diesen Text bewusst nicht auf einem größeren Medium publizieren. Daher ist die Creative Commons-Lizenz für diesen Text eingeschränkt: Verbreitung und Vervielfältigung über das Zitierrecht hinaus ist ohne Einwilligung des Autors nicht erwünscht.

Zum Weiterlesen:

Blog.Zeit.de/Stoerungsmelder: Islamgegner unter sich
Spiegelfechter: The Three Stooges


Flattr this

0 Comments

Julian Assange: Why the world needs Wiki leaks

Julian Assange, Journalist und Herausgeber von Wikileaks erklärt bei der Sendung Ted die Wichtigkeit von Transparenz bei politischen Entscheidungen und mögliche zukünftige Entwicklungen in dieser Richtung. Wer sich noch nicht näher mit Wikileaks beschäftigt hat, sollte sich dieses ca. 20-minütige Video auf jeden Fall anschauen.

1 Comment

Problematisch – Max Stadlers Beitrag zu Internetsperren im Grundrechtereport

Der Grundrechtereport ist der jährlich erscheinende, sehr löbliche Versuch der Humanistischen Union und verwandter Gruppen, Grund- und Bürgerrechte wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen zu tragen und die gesellschaftlichen Diskussionsprozesse der letzten 12 Monate in einem wissenschaftlichen Werk zu bündeln und verschriftlichen. Auch dieses Jahr ist der kürzlich erschienene Band wieder extrem lesenswert mit Beiträgen zu ELENA, SWIFT, Residenzpflicht, Sterbehilfe, dem Fall Koch vs. Brender und weiteren heißen Themen. Die Autoren sind zu großen Teilen Experten des jeweiligen Themas bzw. der Aktivisten- und Bürgerrechtsszene zuzuordnen mit bekannten Namen wie Rolf Gössner, Thilo Weichert und Till Müller-Heidelberg.

Bei der Lektüre des Inhaltsverzeichnisses lässt jedoch ein Name Stirnrunzeln zurück. Der Beitrag zu Netzsperren mit dem Titel “Vertrauensverlust durch Internetsperren” stammt von Max Stadler, seines Zeichens Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Nun ist es natürlich durchaus möglich, aktive Mitglieder der Bundesregierung Beiträge verfassen zu lassen, gerade da sie ja vielleicht besonderes Insiderwissen aufweisen und teilen möchten oder die Sicht auf eine neue interessante Perspektive ermöglichen. Unter Umständen ist dies sogar strategisch sinnvoll, da man so regierungsnahe Autoren behutsam an die Bürgerrechtsszene heranführen kann oder diese zurVerschriftlichung bestimmter mündlich getätigter Aussagen bewegen kann. Nur ist dies in diesem Falle beides unzutreffend. Weder glänzt Stadler mit etwas Neuem oder Vertraulichen im Text, noch lässt er sich dazu hinreißen, irgendetwas Verbindliches zu Papier zu bringen.

Continue Reading »

0 Comments

Dodging the Bullet – Wie eine konservative Mehrheit für Madame Gallos Copyright-Dogmatismus ausgetrickst wurde

Zwei Dinge stehen fest: 1. Das Europäische Parlament ist eine komplizierte Maschinerie, in das sich einzufinden es eine lange Zeit braucht. 2. Die aktuellen verschiedenen Initiativen auf europäischer Ebene, die alle darauf hinauslaufen, das freie Internet so wie wir es kennen, fundamental und dauerhaft zu verändern, sind derart zahlreich und unübersichtlich, dass sogar die Interessierten der„Netzgemeinde“, so so etwas denn überhaupt existiert, sie kaum noch überschauen. Gestern konnte ich beides gleichzeitig verifizieren.

Continue Reading »

0 Comments